© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

„Jetzt sind wir dran“
Kommunalwahl in Italien: Beppe Grillos Frauen „verschrotten“ Premier Matteo Renzi und dessen Sozialisten
Marco F. Hermann

Beppe Grillo, Chef des Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung), zeigte sich begeistert und rief die Revolution aus: „Jetzt sind wir dran. Das ist der erste Schritt, um die Bastille zu nehmen. Wir sind bereit für Italien.“ Am vergangenen Sonntag ging seine Partei als Siegerin aus den italienischen Kommunalwahlen hervor. 

In der Wahlnacht trat Grillo als Kabarettist auf, so wie ihn das Publikum seit Jahrzehnten kennt: auf einem Hotelbalkon, bekleidet mit einem Kleiderbügel (appendino) statt einer Krawatte, streckte er die Arme zu den imaginären Sonnenstrahlen (raggi) aus. Die Anspielung galt Chiara Appendino aus Turin und Virginia Raggi aus Rom, die ihre jeweilige Stadt für den M5S im zweiten Wahlgang eroberten.

Daß Raggi Chancen auf den Wahlsieg besaß, war in der Hauptstadt kein Geheimnis. Die Römerin hatte der Vetternwirtschaft, der Mafia und der „Kaste“ den Kampf angesagt. Das kam bei den Römern an, die sowohl unter dem Mitte-Rechts-Bündnis Popolo della Libertà als auch unter dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) einen Skandal nach dem anderen erlebten. 

Die 37jährige Anwältin punktete mit einer volksnahen Kampagne, in der sie die Renovierung von Schulen und mehr Busse für den öffentlichen Nahverkehr forderte. Mit solchen Ansagen erreichte Raggi bereits im ersten Wahlgang einen Achtungserfolg als Erstplazierte: 35 Prozent der Römer stimmten für sie.

Dennoch fiel der zweite Wahlgang am 19. Juni überraschend klar aus. Raggi deklassierte mit 67 Prozent der Stimmen ihren Gegner Roberto Giachetti vom PD. Für Premierminister und PD-Chef Matteo Renzi eine herbe Niederlage – die sich in der Wahlnacht andernorts wiederholte. Ausgerechnet die piemontesische Hauptstadt Turin, die Wiege der italienischen Industrialisierung, sollte an Chiara Appendino fallen, die über den sozialdemokratischen Amtsinhaber Pietro Fassino triumphierte. Eine Sensation für Turin, wo die Linke seit den siebziger Jahren – mit einer dreijährigen Unterbrechung – die Bürgermeister stellte. Die Niederlage hat auch deswegen Symbolwirkung, weil Fassino einer der Gründerväter des PD ist.

Nur in Mailand und Bologna gelang es Renzis Partei, den eigenen Kandidaten durchzusetzen. Bologna, vom Volksmund folgend „Die Rote“ genannt, war dabei jedoch mehr Pflicht als Kür. In Neapel gewann das vom PD unabhängige Linksbündnis unter Luigi De Magistris, in Triest Roberto Dipiazza, den die rechte Mitte unterstützt. Die traditionell linke Tageszeitung La Repubblica fällt dem Premier nach dem Desaster in den Rücken: Renzi, der einst als „Verschrotter“ der alten Elite aufgetreten sei, werde nun selbst verschrottet.

Raggi steht vor einer Herkulesaufgabe

Als neue Machtfigur der Hauptstadt spielt Virginia Raggi dabei die entscheidende Rolle. Sie ist nicht nur die erste Frau, die als Bürgermeister über die Ewige Stadt regieren wird, sondern bekleidet gleichzeitig das wichtigste politische Amt, das der M5S bisher errungen hat. Grillos Partei holte bei den Parlamentswahlen 2013 bereits 25 Prozent der Stimmen, konnte diese jedoch nie in politisches Kapital ummünzen – Koalitionen mit der etablierten Politik schlossen die „Grillini“ aus, die den kompletten Austausch der politischen „Kaste“ wollen.

Raggis Amtszeit wird zum Prüfstein ihrer eigenen Regierungsfähigkeit und die ihrer Partei. Wie sie bei einem Schuldenberg von knapp 14 Milliarden Euro Verkehr, Bildungswesen und Abfallentsorgung verbessern will, bleibt ebenso ein schwer zu lösendes Problem wie der Umgang mit den Seilschaften der römischen Politik. 

Im Wahlkampf diffamierten die etablierten Parteien Raggi als Lügnerin: Sie besitze Verbindungen zu Silvio Berlusconi, sei eine Marionette Grillos und habe Nebeneinkünfte unterschlagen. Vorwürfe, die sich bisher nicht bestätigten, aber einen Vorgeschmack auf den künftigen erbitterten Machtkampf in der Hauptstadt bieten.