© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Grüße aus Paris
Lustig ist das Leben hier
Albrecht Rothacher

Allein 90.000 sollen sich unter dem Eiffelturm das Endspiel beim sogenannten „public viewing“ auf der Riesenleinwand anschauen. Für die 11.000 gewaltbereiten Salafisten eine tolle Zielübung. Einfacher geht es kaum noch. Die Polizei und die Sicherheitsdienste sind völlig überlastet. Gespräche über die Anschlagsgefahr prägen die Unterhaltungen auf den Straßen, in der Métro oder in der Brasserie. 

Dazu häufen sich die Streiks, die die kommunistische CGT veranstaltet: Eisenbahn, Piloten, Fluglotsen, Nahverkehr, Raffinerien, Atomkraftwerke, die Müllabfuhr.

In den Straßen lärmende Gewerkschafterdemos. Als sich am Boulevard St. Germain ein Schwulentrupp mit seinen Fahnen einer Demo anschließen will, wird er von den Ordnern hinausgeworfen und verprügelt. Feuerwerkskörper gegen Tränengas. Überall  ertönen  Sirenen. Polizei gegen Anarchisten und Trotzkisten. Vitrinen gehen zu Bruch. Müllcontainer und ein Porsche brennen. Dauerregen und Hochwasser entlang der Seine. Dazu immer wieder EM-Fantrupps, die orientierungslos durch die Straßen stolpern. Lustig ist das Leben hier.

 Gegen Mitternacht erwischt es mich dann auf dem Heimweg in der Métro.

Studentische Kleingruppen sitzen herum, rauchen und trinken Dosenbier. Bei einem Podium mit 200 Zuhörern darf jeder reden, egal ob er zur Weltrevolution aufruft oder seine wirren persönlichen Probleme darstellt, jeder erhält höflichen Beifall. Je kürzer der Redner sich faßt, desto mehr wird geklatscht. 

Ich setze mich in ein nahes Café und lese eine Sammelbiographie der französischen Präsidentenfrauen. Ganz witzig: in 40 Jahren ein kompletter Kulturbruch zwischen Yvonne de Gaulle, Anne Giscard d’Estaing und Bernadette Chirac,  den braven katholischen Ehefrauen oft ungetreuer Männer, und den aktuellen Lebensabschnittspartnerschaften von Sarko und Hollande. 

Gegen Mitternacht mache ich mich auf den Heimweg. In der Métro erwischt es mich schließlich. Als ich nach meiner Tasche greife, glaubt mein Nachbar wohl, ich hätte es auf seine Einkaufstüte abgesehen. Ohne ein Wort zu sagen, schlägt er mich mit einem gekonnten Faustschlag zu Boden. Der Zug hält an. Alarm wird gegeben. Wie aus dem Nichts erscheinen vier Sicherheitsleute und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden. Ich fühle meine Zähne und Rippen ab. Alles in Ordnung. Ich entschuldige mich für die Umstände und gehe etwas benommen meines Weges.