© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Frust über die Politik
Spanien: Nachdem die Linke es ein halbes Jahr nicht verstand, eine Regierung zu bilden, soll nun der Wähler für Klarheit sorgen
Michael Ludwig

Die Spanier haben auf Politik keine Lust mehr. Fragt man Freunde, Bekannte oder den Nebenmann an der Bar, was der kommende Wahlsonntag bringen werde, erntet man in der Regel ein desinteressiertes Schulterzucken. Zu enttäuscht sind sie darüber, was die Parteien im vergangenen halben Jahr zustande gebracht haben, oder besser: nicht zustande gebracht haben. Vor sechs Monaten fand der letzte landesweite Urnengang (JF 6/16)  statt. Seit dieser Zeit haben es die vier größten Parteien des Landes nicht geschafft, sich auf eine Regierung zu einigen, und es steht zu befürchten, daß sie es auch nach dem 26. Juni nicht schaffen werden und der gegenwärtige politische Schwebezustand weiter anhalten wird. „Die letzte Meinungsumfrage zeichnet das Bild eines unregierbaren Spaniens“, titelte die konservative Madrider Tageszeitung El Mundo.

„Regieren ist schwer, Versprechen einfach“

Die Spanier stellen der politischen Elite ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Einer repräsentativen Umfrage zufolge halten 82,3 Prozent die politische Situation in Spanien für schlecht bis sehr schlecht; 68,1 Prozent sind mit den ökonomischen Verhältnissen mehr oder minder unzufrieden. 

Obwohl die politische Klasse angesichts dieser Werte in Alarmstimmung versetzt sein müßte, reagiert sie, als ginge es nicht um das Gemeinwohl, sondern vielmehr ausschließlich um den hemmungslosen und egoistischen Griff nach der Macht. Da es auf der Iberischen Halbinsel keine Tradition gibt, die den Kompromiß als vernünftige Handlungsoption sieht, zeigen sich die sozialdemokratische PSOE, die linkspopulistische Unidos-Podemos-Bewegung und die bürgerlich-liberalen Ciudadanos unfähig dazu, aufeinander zuzugehen, um eine Koalitionsregierung zustande zu bringen. Lediglich die konservative PP streckte die Fühler nach einer großen Koalition mit der PSOE aus, wurde aber von dieser brüsk zurückgewiesen.

Doch es sind weder die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, die Flüchtlingskrise oder der internationale Terrorismus, die den gewöhnlichen Mann und die durchschnittliche Frau auf der Straße umtreiben. Es sind die wirtschaftlichen Daten, die ganz konkrete Auswirkungen auf deren alltägliches Leben nehmen. Auf die Frage „Was ist das wichtigste Problem, das es gegenwärtig in Spanien gibt?“ verweisen 75,3 Prozent auf die Arbeitslosigkeit, 46,7 Prozent auf die grassierende Korruption, 23,6 Prozent auf allgemeine wirtschaftliche Probleme. 21,3 Prozent aller Befragten, also etwas mehr als ein Fünftel der Bevölkerung, sehen die Politiker, die Parteien und die Politik generell als die Wurzeln allen Übels an. 

Immerhin kamen diese Themen bei einer mehrstündigen Fernsehdebatte ausführlich zur Sprache, die die Spitzenkandidaten der vier größten Parteien dieser Tage miteinander bestritten. Ministerpräsident und PP-Chef Mariano Rajoy betonte, daß es ihm gelungen sei, das Land in der Krise von 2012 vor der Pleite zu retten und ein Sanierungsprogramm der Europäischen Union nach dem Beispiel Griechenlands abzuwenden. „Regieren ist sehr schwer, Sprechen und Versprechen sind einfach“, sagte der Regierungschef an die Adresse seiner politischen Widersacher gerichtet. Als Ziel seiner Bemühungen nannte er es, bis 2020 weitere zwei Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.

Rajoy kann in der Tat eine Reihe von Erfolgen vorweisen – Spaniens Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um mehr als drei Prozent gewachsen, 2016 wird sie es voraussichtlich um 2,7 Prozent, ein Prozent mehr als in den USA oder in Deutschland. Die Arbeitslosenquote konnte in den vergangenen drei Jahren immerhin um sechs Prozent nach unten gedrückt werden – ist aber mit knapp über 20 Prozent noch immer sehr hoch.  Die meisten Arbeitsverträge wurden allerdings im unteren Lohnsektor geschlossen und sind zeitlich begrenzt.

Pedro Sánchez (PSOE) und Pablo Iglesias (Unidos Podemos) griffen Rajoy vor allem wegen dessen Sparpolitik an. Sie warfen ihm vor, die Reichen durch Steuergeschenke noch reicher gemacht zu haben, und forderten eine Rücknahme der Arbeitsmarktreformen sowie staatliche Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Albert Rivera von den Ciudadanos kritisierte den Regierungschef vor allem wegen der zahlreichen Korruptionsfälle in dessen Partei.

Alle wollen einen weiteren Urnengang verhindern

Die letzten Umfragen gehen davon aus, daß die regierende Volkspartei unter Rajoy ihren Anteil an Wählerstimmen zwar leicht von 28,7 (2015) auf 29,2 Prozent steigern kann, aber aufgrund der Besonderheiten des Wahlrechts einige Parlamentssitze verlieren wird. Unidos Podemos hat es mit einem geschickten Schachzug geschafft, zweitstärkte Partei zu werden. Sie verbündete sich mit der kommunistischen IU zu einer gemeinsamen Wahlplattform. Die Prognosen geben ihr 25,6 Prozent, das sind 4,4 Prozent mehr als für die traditionelle sozialistische PSOE. Den bürgerlich-liberalen Ciudadanos werden 14,6 Prozent (2015: 13,9) vorhergesagt. Alle Spitzenkandidaten haben während der TV-Debatte versichert, daß es keinen weiteren Wahlgang geben wird.