© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/16 / 24. Juni 2016

Pankraz,
der Kurator und die Sorgen der Lügner

Bloße Wichtigtuerei? In der aktuellen Juni-Nummer der Bonner Zeitschrift Journalist, dem Zentralorgan des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), findet sich ein umfänglicher Aufsatz über das „Kuratieren von Nachrichten“, der zu mancherlei Spekulationen, auch Besorgnissen, Anlaß gibt.

Drei neuartige Leitfiguren aus der Nachrichtenwelt werden vorgestellt, der „Managing Editor“ bei Blendle Deutschland, der „Head of Editorial“ bei Springers News-App Upday (an deren Spitze ein „Chief Product Officer“ steht) und der „Head of Curation“ beim Start-up Niuws. Keine dieser Figuren, so erfahren wir, sei einfach Chefredakteur oder Ressortleiter, wie früher üblich, es seien vielmehr „Kuratoren“ aus der Welt der Ausstellungen und edlen Sammlungen. Die von ihnen dargebotenen Inhalte seien keine schlichten Informationen, sondern „Kunstwerke“, von ihnen, den Kuratoren, ausdrücklich zu solchen erklärt.

Kuratoren sind mächtige Leute, die in der allgemeinen Wertschätzung weit oben stehen, weit über den Journalisten. Wenn sie irgendeine Nichtigkeit, eine Rülpserei oder Darmblähung, zum Kunstwerk erklären und ihr extra öffentliche Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, ernten sie keinen Hohn, sondern Respekt. Nicht mehr absolute Fürsten oder reiche Mäzene verhelfen heute bildenden Künstlern zu Ruhm und gutem Einkommen, sondern ein unsichtbares Netzwerk von Kuratoren, welche darüber entscheiden, was Kunst ist und was nicht, wer gefördert und wer ignoriert wird.


Nach geltendem bürgerlichen Recht ist ein „Kurator“ ein gerichtlich bestellter Vormund für eine natürliche oder juristische Person, die nicht selber vertreten ist oder sich (noch) nicht selbst vertreten kann, Kinder etwa oder geistig Behinderte. Auch die staatlichen Verwalter eines Zoos heißen in der Rechtssprache Kuratoren; sie bestimmen letztlich, welche Tiere eingekauft und vorgezeigt werden. Und schließlich gibt es „Kuratoren“ auch in der (evangelischen) Kirche, in Österreich zum Beispiel; dort sind sie dem jeweiligen Gemeindepfarrer regelrecht beigeordnet und kontrollieren dessen „Außenbeziehungen“.

Überdenkt man all diese Bestimmungen, die der Begriff des Kurators in sich birgt, so kann einem bei der Lektüre des Artikels im Journalist angst und bange werden. Zoodirektor, Neben- und Überpfarrer, Vormund für Kinder und geistig Behinderte, Ausstellungsmacher und Zeitgeistverwalter, und all das mit einer Art Heiligenschein über der Glatze, anerkannt als Künstler, sogar als „wahrer Künstler“, der den bloßen Kunstproduzenten zeigt, wo es langzugehen hat – wenn jetzt die Journalisten anfangen, sich als Kuratoren hinzustellen, herrscht tatsächlich Alarmstufe eins im Medienbetrieb. 

Gewiß, das Standesbewußtsein der Branche war – im Gegensatz zu ihrem öffentlichen Ansehen – auch bisher schon hoch entwickelt. Als „vierte Gewalt im Staat“ fühlte man sich (und führte sich dementsprechend auf), als einziger Indikator für den Grad der Freiheit, der in einer Gesellschaft gewährt werde, als Kraft, „vor der sich jeder fürchten muß“ (Henri Nannen). Aber am Generalprinzip des Journalismus wurde noch nicht gerüttelt, das da lautet: Lüge nicht, verschwiemele nichts, spiel dich nicht als unfehlbare Instanz auf, informiere statt dessen genau und anschaulich über das, was wirklich passiert!

Jetzt nun, mit dem Aufstieg der „Managing Editors“ und „Heads of Editorial“ zu Kuratoren, wird genau dieses Generalprinzip zu Fall gebracht. Der Journalist ist keiner mehr, der sich so eng wie möglich an die Wirklichkeit anschmiegt, mit ihr gleichsam eins werden will, sondern er ist einer, der sich voller Hochmut und Anmaßung über sie erhebt, der sie überhaupt erst durch sein Eingreifen zur „eigentlichen Wirklichkeit“, nämlich zur Kunst macht. Und was Kunst sein soll, das bestimmt einzig er selbst, denn er, und nicht der originäre Kunstproduzent, besitzt Macht, Geld und gesellschaftliches Ansehen.


Schaden erleidet dadurch natürlich der Journalismus selbst; seine Zuverlässigkeit und Gediegenheit nähern sich dem Nullpunkt. „Der Journalist ist ein Kurator“ – das heißt zwar noch nicht automatisch, der Journalist ist auch ein „Lügner“, kommt diesem Befund aber gefährlich nahe. Wenn die Tatbestände nicht mehr als solche kenntlich gemacht, sondern von der Presse zunächst einmal so lange hin und her gewurstelt werden, bis sie als „Kunst“ erscheinen und ein „optimales Bild“ ergeben, das auch und vor allem Kindern und geistig Behinderten einleuchtet, ist es bis zur offenen Lüge nur noch ein Katzensprung.

Es kommt gewiß nicht von ungefähr, daß der Journalist ausgerechnet jetzt mit seiner Kurator-Story aufwartet. Das Wort von der „Lügenpresse“ ist mittlerweile zu einem richtigen Mantra der medial-politischen Gegenwart geworden. Jedermann kennt es, jeder bedenkt es und macht sich einen eigenen Vers darauf, vergleicht es mit seinen eigenen Erfahrungen. Und diese Erfahrungen weisen eindeutig in Richtung Tatsachenverfälschung. Ihre Verursacher streiten das schon gar nicht mehr ab, versuchen nur noch, es mit launigen Erzählungen à la Kuratorenpresse zu bemänteln und zu rechtfertigen.

Pankraz wird dabei intensiv an das merkwürdige „Schattentheater“ Wayang Kulit erinnert, das er sich einmal bei einem Besuch auf Java angeschaut hat. Die Handlung wird dort erzählt, indem bloße Schatten auf eine beleuchtete Fläche geworfen werden. Das Publikum sitzt auf der der Lichtquelle abgewandten Seite und kann an sich nur ahnen, was eigentlich vorgeht, hat nur den dazu gesprochenen Text im Ohr. Neuerdings dürfen aber, wie Pankraz irgendwo gelesen hat, Zuschauer, die das ausdrücklich wünschen, die Rückseite der Schattenspielbühne besuchen und den Schattenspielern bei der Arbeit zusehen.

Allen regelmäßigen Konsumenten des hiesigen aktuellen Kuratorenjournalismus wäre dringend zu raten, sich auch einmal die Rückseite des Betriebs genauer anzusehen. Ob es ihnen erlaubt wird, steht freilich auf einem anderen Blatt.