© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Indiskretionen gelten als verpönt
Hintergrundkreise: Exklusive Gesprächszirkel zwischen Politikern und Journalisten eröffnen Raum für Verschwörungstheorien

Sie stehen in dem Ruf, daß in ihren Reihen die ganz großen, geheimen Absprachen getroffen werden. Verschwörungstheoretiker sehen ihre Existenz als Beleg für die Behauptung, daß die großen Medienmacher der Republik unter einer Decke mit der Politik stecken würden. Die Rede ist von den sogenannten Hintergrundkreisen. 

Dabei handelt es sich um regelmäßige Gesprächsrunden zwischen Politikern und Journalisten in der Hauptstadt Berlin. Auf etwa ein Dutzend solcher interner Zirkel kommen Beobachter des Politikbetriebs derzeit. Ihre Zahl ist seit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin angestiegen. 

In der rheinischen Provinz sei es ohnehin etwas hemdsärmeliger zugegangen, dort seien Hintergrundgespräche bevorzugt am Tresen abgehandelt worden. Eine solche „Duzkumpel-Saufnähe“, wie sie in Bonn geherrscht habe, gebe es in Berlin nicht mehr, versichert der Politikkorrespondent Thomas Kröter vom Kölner Stadt-Anzeiger. Die räumliche Weite in der Großstadt schaffe eine gewisse professionelle Distanz.  

Ein wichtiges Instrument der Staatssteuerung

Dennoch haben die Hintergrundkreise einen tendenziell schlechten Ruf, geraten in der Öffentlichkeit schnell in den Ruch eines Geheimbundes: „Diese Runden als klandestine Manipulationsstätten zu verteufeln ist Stuß“, sagte Kröter gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit.

 Hintergrundkreise dienen grundsätzlich zur Information der Journalisten über Sachverhalte und der freien Aussprache von politischen Standpunkten. So soll das gegenseitige Verständnis zwischen Politik und Medien verbessert und eine tiefere Verbindung geschaffen werden, als dies in sogenannten Hintergrundgesprächen die Regel ist. Von diesem Instrument, welches schon der erste Kanzler der Republik, Konrad Adenauer, als „eines der wichtigsten zur Staatssteuerung“ bezeichnete, macht auch die amtierende Regierungschefin Angela Merkel gerne Gebrauch. Hat sie politischen Redebedarf, kann aber aus verschiedenen Gründen noch keinen Vollzug melden, dann organisiert sie solche Runden. Sie muß aber damit rechnen, daß unter dem Siegel der Anonymität die entsprechende Information durchgestochen wird und schließlich den Weg in die Öffentlichkeit findet.

Genau dies soll in den Hintergrundkreisen eben nicht passieren. Ihnen gehören zehn bis zwölf, aber selten mehr als 20 Personen an. Die Zusammensetzung der Mitglieder ist seit Jahren homogen, eine Neuaufnahme hat stets einstimmig zu erfolgen. Ein Austritt erfolgt in aller Regel lediglich bei Berufswechsel oder Ruhestand. 

Einer der ältesten Kreise trägt den Namen „Gelbe Karte“ und hat eine bekennende linksliberale Ausrichtung. Er gründete sich 1971 als Gegenpol zu konservativen Medienzirkeln. Federführend war Willy Brandts ehemaliger Pressereferent und jetziger Chefredakteur des SPD-Parteiblatts Vorwärts, Uwe-Karsten Heye. Der Name stammt aus einer Zeit, in der die Namensschilder, die für Journalisten auf Parteitagen ausgegeben wurden, gelb waren – und zwar komischerweise bei allen Parteien. „Der Kreis ist in der Vergangenheit oft mit der FDP in Verbindung gebracht, aber die Schnittmenge war dann doch eher gering“, sagt Heye. Die „Gelbe Karte“ ist mit der strikt festgelegten Mitgliederzahl von 30 Personen der derzeit größte Kreis. Zu den bekanntesten Mitgliedern gehören heute unter anderem Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) und Jens König (Stern). Dennoch attestieren ihm Beobachter in den vergangenen Jahren eine abnehmende Bedeutung, weil er eine bestimmte politische Ausrichtung verfolge. 

Federführend dagegen im geheimen Mediengeschäft und fast schon sagenumwoben ist der „Wohnzimmerkreis“, der von Günter Bannas, dem Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, geleitet wird. Der Kreis hat strenge Regeln. Trotz der privaten Atmosphäre bei den Journalisten zu Hause ist es untersagt, daß sich Reporter und ihre Politikergäste duzen. „Es ist und bleibt eine berufliche Veranstaltung“, erklärt Bannas gegenüber dem Medium Magazin. In diesem Interview räumte Bannas auch mit dem Vorurteil auf, in seinem Kreis würden Geheimnisse aus Staat und Partei ausgetauscht, die nie an die Öffentlichkeit gelangen dürften. „Wenn ein Politiker Informationen mit der Bedingung verknüpft, daß der Journalist darüber schweigen soll, sollte der Journalist sagen, daß er es lieber gar nicht erst wissen will.“ Indiskretionen, wie sie bei herkömmlichen Hintergrundgesprächen üblich sind, gelten in den Zirkeln als verpönt. „Sollte das passieren, fliegt der Betreffende raus“, sagt Bannas. 

Zum erlauchten Wohnzimmerkreis gehören Politikjournalisten wie Christiane Hoffmann vom Spiegel, Bettina Schausten vom ZDF oder der Süddeutsche-Korrespondent Stefan Braun. Doch die räumliche Nähe, die bei den regelmäßigen Treffen entsteht, kann auch Probleme bereiten. Christoph Schwennicke, Chefredakteur des Magazins Cicero, äußert sich in einem Beitrag kritisch über das gestörte Distanz-Verhältnis vieler Journalisten, das gerade bei Auslandsreisen mit Spitzenpolitikern entstehen könne. „Es gibt plötzlich ganz viele Kanzler über den Wolken, man nickt verständnisvoll bei den Ausführungen und fühlt sich ungemein bedeutend. Es ist wie permanente Klassenfahrt. Immer läuft man sich über den Weg.“ Schwennicke gehört übrigens auch dem „Wohnzimmerkreis“ an. 

Wirklich Weltbewegendes wird nicht besprochen

Doch wirklich Weltbewegendes werde auch in diesen Kreisen nicht besprochen, sagt mit Richard Meng einer, der es wissen muß. Er war jahrelang als Korrespondent für die Frankfurter Rundschau in der Bundeshauptstadt unterwegs und ist nun Sprecher des Berliner Senats. „Erfahren habe ich in all diesen Runden nichts wirklich Dramatisches. Vieles bleibt an der Oberfläche. Wenn jemand glaubt, ein Kanzler würde in einem solchen Kreis verraten, welchen Minister er in der nächsten Woche feuert, der täuscht sich. Es dient eher einem Abklopfen von Stimmungslagen.“

Dennoch seien diese Gesprächszirkel wichtig, dienten sie es doch dazu, Politiker besser einschätzen zu können, als dies bei offiziellen Terminen möglich wäre. Der Unterhaltungswert der Tagungen sei dagegen eher gering. Christoph Schwennicke, vor seiner Zeit als Cicero-Chef lange als Politikchef für den Spiegel unterwegs, nennt manche Zusammenkunft sogar „stinklangweilig“. Doch wer sich davor drücke, müsse letztlich doch damit rechnen, etwas zu verpassen. 

Beteiligte Journalisten klagen auch darüber, daß es sich letztlich um ein Schmoren im eigenen Saft handele. Denn die Kreise setzen sich mittlerweile immer mehr aus Fachrichtungen zusammen. Im „Vier-Sterne-Kreis“ treffen sich Militär-Fachjournalisten, bei den „Außenverteidigern“ handelt es sich um Sicherheitsexperten. Der „Brückenkreis“ gilt als konservativ und damit als Gegenpol zur „Gelben Karte“ und im „Kartell“ versammeln sich Wirtschaftsjournalisten.

Doch echten Zugang zur wirklichen Spitzenpolitik haben nur rund zehn Journalisten. Diese können in aller Regel einen Minister auch mal auf dem Mobiltelefon anrufen. Alle anderen müssen sich mit den Pressesprechern begnügen. Für sie ist es wichtig, in die beschriebenen Kreise hereinzukommen und wenigstens ansatzweise behaupten zu können, man gehöre dazu. „Es ist schon so, daß es für manche Journalisten extrem wichtig ist, in einem der Kreise Mitglied zu sein“, sagt Meng und ergänzt: „Natürlich erhofft man sich auch, daß sich ein Politiker das Gesicht genau einprägt und man näher an ihn herankommt.“ 

Wer von solchen Runden profitiert, darüber gehen die Meinungen übrigens auseinander. Bascha Mika, ehemalige Chefredakteurin der linkalternativen taz, bringt es auf den Punkt: „Politiker laden gerne zu Hintergrundgesprächen ein und suchen sich ihre Journalisten dazu auch handverlesen aus, und da versuchen sie natürlich auch ihre Themen zu lancieren. Auf der anderen Seite schafft dies eine Art von Nähe zur Politik, die eigentlich für kritischen Journalismus tödlich ist.“

Außerdem sagen Kenner der Branche, daß bei Politikern die Lust auf Hintergrundzirkel in den vergangenen Jahren eher gesunken sei. Die Zahl der akkreditieren Journalisten ist in den vergangenen Jahren gestiegen, zahlreiche Online-Formate sind auf den Markt gekommen. Im Gegenzug bieten moderne Darstellungsmöglichkeiten in den sozialen Netzwerken den Politikern auch andere Wege der Eigenvermarktung. „Jeden von uns beeindruckt der Umgang mit sehr mächtigen Menschen. Wer sagt, er sei dagegen immun, ist nicht ganz ehrlich zu sich selbst“, erklärte vor Jahren schon Tissy Bruns, die 2013 an Krebs verstarb und die lange Zeit als Grande Dame des deutschen politischen Journalismus galt: „Wenn ich zu Hause erzählt habe, daß ich letzte Woche zum Hintergrundgespräch mit der Bundeskanzlerin eingeladen war, gab es aus dem Familien- und Bekanntenkreis immer ganz ehrfürchtige Reaktionen. Dann merkte ich immer, daß das eine Sache ist, die andere Leute beeindruckt, aber auf mich selbst wirkte sie eben auch“, lautete ihr Fazit. 

Und wenn die Kanzlerin dann noch auf dem privaten Sofa Platz nimmt, beeindruckt das um so mehr. „Wir handeln geheime Dinge ab. Wir wollen Politik verstehen, und das muß ein Zuschauer oder Leser nicht erfahren. Sondern er muß dann nur verstehen, was wir sagen“, beschreibt die ARD-Korrespondentin Dagmar Seitzer ein Gefühl der Wichtigkeit. „Was da gemacht wird, ist unser Berufsgeheimnis. Das gleiche gilt für den Lobbyismus. Ein Lobbyist redet ja auch nie offen darüber, mit wem er spricht, welche Papiere er erhält, wo er sie hinschiebt und was daraus wird.“ Seitzer leitet den Hintergrundkreis „Rotes Tuch“, zu dem nur weibliche Journalisten Zutritt haben. FAZ-Kollege Bannas sieht angesichts solcher Tendenzen immer die latente Gefahr, daß sich Journalisten „für zu wichtig halten“. 





Thinktanks und Denkfabriken

Der Wille, auf die Politik Einfluß zu nehmen, kennzeichnet nicht nur die im Beitrag angesprochenen Hintergrundkreise. Auch Dutzende sogenannter Thinktanks haben sich das Ziel gesetzt auf politische Entscheidungsträger einzuwirken respektive sie zu beraten. Volker Perthes, Direktor der größtenteils aus Mitteln des Haushalts des Bundeskanzleramtes finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht dabei im Interview mit dem Onlineportal politik-kommunikation.de sogar einen wachsenden Markt. Der Bedarf an außen- und sicherheitspolitischer Beratung habe zugenommen, so Perthes: „Die Welt ist komplexer geworden, schneller – die Politiker brauchen mehr Rat.“ Neben der SWP und den politischen Stiftungen der Parteien gibt es für die verschiedensten Politikbereiche Denkfabriken. „Think Tank Directory Deutschland“ listet über 140 von ihnen auf. Die Liste beinhaltet Informationen über Größe, Finanzierung, Themenspektrum und Produktpalette der einzelnen deutschen Denkfabriken.