© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Zeitschriftenkritik: Tumult
Der Souverän muß den Frieden sichern
Werner Olles

Hinter der verschlissenen Fassade der sogenannten „westlichen Werte“ von Toleranz, Weltoffenheit, Gleichheit und Multikulturalität lugt unübersehbar die nackte Angst hervor. Vorbei die Zeit, in der es schien, als könne man es sich – das nötige Maß an Realitätsverleugnung vorausgesetzt – im Schatten einer Erlebnisgesellschaft, deren oberstes Ziel die „Vergleichgültigung“ (Egon Flaig) ist, bequem einrichten, obwohl ein Großteil Mittel- und Westeuropas bereits mit Gewaltausbrüchen, Selbstmordattentaten und Amokläufen eines fanatischen Islams konfrontiert ist. Daß sich dennoch „noch nie eine Gesellschaft für etwas Abwesendes (ihre Werte) so aufdringlich selbst gefeiert hat wie die unsere“ (Frank Böckelmann), ist angesichts der Brutalität und Zerstörungspotenz der Fanatiker nicht nur besonders ekelhaft, sondern trägt auch zum „Überdruß an den Gebetsmühlen bei, zu Weigerung und Widerstand, zu Besinnung auf ein altes, ein unegales Europa“ und zur „bürgerschaftlichen Solidarität“ (Böckelmann). 

Die Sommerausgabe von Tumult, der „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“, befaßt sich daher mit der doppelten Verdrängungsleistung der politischen und medialen Eliten. Denn verdrängt wird nicht nur, daß sich der islamische Fundamentalismus nicht vollständig als sozioökonomisch bedingt abtun läßt, sondern auch ein Aufstand gegen die „offene Gesellschaft“ und „Multiethnizität“ ist, während gleichzeitig nationale und kulturelle Identität, Sprache, Zugehörigkeit, Weiblichkeit/Männlichkeit, Mythen und Riten zunehmend abgeschafft werden. Das zerfallende Gebäude der Postmoderne steuert so geradewegs in die staats- und rechtsfreie Gesellschaft. Deren Träger laufen ihren eigenen Gesetzen davon, das Recht spürt erstmals seinen beschränkten historischen Charakter. Mit der Begrifflichkeit von Staat und Demokratie, Recht und Gesetz ist dies jedenfalls nicht mehr zu erfassen. Die Asylkrise ist im Prinzip die Krise von Demokratie und Parlamentarismus, Sozial- und Rechtsstaat. Was folgen müßte, wäre ein Plädoyer für den Bürgerrechtsstaat und direkte Demokratie, die jene „Differenzbegriffe geschichtlichen Menschseins“ (Rudolf Brandner) reaktiviert, die der moraltriefenden politischen Korrektheit Paroli bieten. Daher zitiert Eberhard Sens in seinem Beitrag „Von Bürgerkriegen“ den politischen Philosophen Thomas Hobbes: „Um den Bürgerkrieg zu verhindern, muß jeder seine Gewalt abgeben, die sich bei dem Souverän sammelt.“ Dieser habe den inneren Frieden zu sichern. Sens plädiert für den Begriff „Antigesellschaft“ statt „Parallelgesellschaften“, in denen sich der „molekulare Bürgerkrieg“ (Hans Magnus Enzensberger) entwickele und setzt dagegen das Diktum: „Ein guter Staat kennt seine Grenzen.“

Weitere Beiträge befassen sich mit den Bilderbergern (Manfred Lauermann), der „Überwindung des Nihilismus“ (Rudolf Brandner), der „Logik des absolut Bösen im absolut Guten“ (Ulrich Schacht) und dem Philosophen Julien Freund, dem „Theoretiker der Feindschaft“.

Kontakt: Frank Böckelmann, Nürnberger Str. 32, 01187 Dresden. Das Einzelheft kostet 8 Euro, ein Jahresabo 32 Euro. 

 www.tumult-magazine.net