© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Mit Charakter zur Kultfigur
Fernsehgeschichte: Nachruf auf den großen Schauspieler Götz George
Markus Brandstetter

Horst Schimanski ist tot. So sehr ist in der Wahrnehmung der Deutschen die fiktive Figur des Kriminalhauptkommissars aus Duisburg mit dem Schauspieler Götz George verschmolzen, daß sicher viele bei der Nachricht von dessen Tod unwillkürlich an diesen von ihm verkörperten Filmcharakter denken mußten. In mancher Hinsicht ist es das höchste Lob, das es für einen Schauspieler geben kann: Er spielt eine Figur nicht – er ist diese Figur. Ohne ihn, geht die Vorstellung, gäbe es diese Figur nicht, weshalb auf ihn auch keiner nachfolgen kann.

So ist es auch hier: Götz George hat Schimanski geschaffen, und mit ihm steht und fällt und stirbt diese Kunstfigur. In der Geschichte des deutschen Fernsehkrimis ist das ein einmaliges Phänomen, ja selbst im internationalen Vergleich gibt es dazu wenige Parallelen. James Bond kann von vielen Schauspielern dargestellt werden, weil er kein Charakter, sondern ein Typus ist. Dasselbe gilt für Tarzan, Batman und die ganzen anderen Helden, die jeden Tag aus Hollywood zu uns herüberkommen, um die Welt zu retten.

Schimanski aber war kein Typus, sondern ein Charakter, weil er der erste „Tatort“-Kommissar mit einem Privatleben war. Und was für einem. Schimanski hat geliebt, gehaßt, geschrien, getobt, geherzt, geküßt, geflucht, sich geprügelt; er war wechselweise müde, gestreßt, euphorisch und dann wieder am Boden zerstört. Und manchmal war er all das in einer einzigen „Tatort“-Folge. Kurz: Schimanski hat gelebt. Vor ihm hatten deutsche Fernsehkommissare kein Privatleben, sondern waren mit karierten Sakkos und blauen Krawatten bekleidete Gentlemen, die gemäß dem Handbuch der Kriminalistik ermittelten und statt Gefühlen und Stimmungen forensische Fakten und belastbare Zeugenaussagen verlangten.

Götz George hat all das geändert. Er hat den Serienkrimi im deutschen Bezahlfernsehen aus den Villen mit Swimmingpool, modernen Arztpraxen und holzgetäfelten Anwaltskanzleien in die Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets geholt, wo er sich dann zwischen Nutten, Zuhältern, Kleinkriminellen, Asylanten, Türken, Tunten, Sozialhilfeempfängern und Grundstücksspekulanten wie der Fisch im Wasser bewegte.

Im Juni 1981, als der erste Schimanski-„Tatort“ im deutschen Fernsehen lief, war das neu, frisch und so aufregend, daß die Serie, die am Schluß aus 29 Folgen bestand und in 17 Spielfilmen weitergeführt wurde, irgendwann Kult war. 

Wer so viel und so gut immer eine Figur spielt – auch wenn diese viele Facetten hat –, der wird irgendwann nur noch mit dieser Figur identifiziert. Das ist auch bei Götz George der Fall gewesen: Er war und blieb immer Schimanski.

Dabei war er mehr, konnte mehr und hat auch vielfältige und ganz andere Filme gedreht. Wenn er wollte, dann konnte Götz George auch verquere, abseitige und zerrissene Charaktere mimen, und hat er sich nicht gescheut, auch Serienmörder und NS-Verbrecher darzustellen. Nach einer ziemlich langen Reihe unbedeutender Unterhaltungs-, Heimat- und Karl-May-Filme gelang ihm das zum ersten Mal 1977, als er den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß spielte. Diesen künstlerischen Erfolg wiederholte er 1999 in dem Film „Der Totmacher“, in dem er grandios den Serienmörder Fritz Haarmann verkörperte, der zu Anfang der 1920er Jahre 24 Jungen und Männer in Hannover regelrecht abgeschlachtet hatte.

Populärer als diese Stoffe, mit denen George vor allem bei Kritikern punktete, war der Film „Schtonk!“, in dem es um den Skandal mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern geht. In diesem Film spielt George einen vom Dritten Reich faszinierten Reporter, der einem Trickbetrüger auf den Leim, geht, welcher ihm die angeblichen Tagebücher Hitlers gegen Millionenhonorare unterjubelt. 

Dieses ungemein populär gewordene Opus zeigt aber ebenso die Grenzen von Georges schauspielerischem Können auf: George praktizierte ziemlich oft das, was man im Englischen „Overacting“ nennt, ein übertriebenes Schauspielern, das Rollen, die echte Menschen darstellen sollen, auf vorpsychologische Typen reduziert. „Schtonk!“ zeigt auch, daß Götz George kein eigentlich komischer Schauspieler wie Heinz Rühmann oder Jack Lemmon war, weil er sich weder von seinen Figuren distanzieren noch über sich selber lachen konnte. 

Gleichviel, Götz George hat deutsche Fernsehgeschichte geschrieben. Er war sympathisch, erdverbunden und in seiner störrischen Art authentisch, und er hat mit diesen Eigenschaften eine unsterbliche Kultfigur geschaffen.





Götz George

Als jüngstes Kind des Schauspielerpaares Heinrich George und Berta Drews 1938 in Berlin geboren, verkörperte der nach Götz von Berlichingen benannte Sohn seinen überlebensgroßen Vater 2013 in dem Fernsehfilm „George“. In einer ARD-Dokumentation sagte Götz George an seinen1946 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen gestorbenen Vater: „Du hast mich halt immer überholt. Du warst halt immer besser, besessener.“