© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Die große Verschwendung zu Lasten der Erde
Das globale Müllaufkommen kennt keine Grenzen des Wachstums / Absichtliche Schundproduktion?
Christoph Keller

In ihrem jüngsten Buch, „Reichtum ohne Gier“ (JF 19/16), verrät Sahra Wagenknecht, wie „wir uns vor dem Kapitalismus retten“ können. Daß es dafür fünf Minuten vor zwölf sei, leitet die Linken-Fraktionschefin und promovierte Ökonomin einerseits ab aus den akuten Bedrohungen demokratisch verfaßter Gemeinwesen durch dieses Wirtschaftssystem, andererseits aus den bereits realisierten globalen Zerstörungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Zu ihren lehrreichsten Beispielen zählt eine 2003 von der US-Börsenaufsicht bestätigte Klage gegen Apple. Der kalifornische IT-Gigant hatte in seine iPods nichtaustauschbare Akkus mit einer auf 18 Monate begrenzten Lebensdauer eingebaut. Danach war das Gerät Elektroschrott. Die US-Justiz verdonnerte den Konzern dazu, iPod-Besitzern einen 50-Dollar-Gutschein oder einen kostenlosen Akkutausch anzubieten.

Strategien gegen den absichtlichen Verschleiß?

Das Prinzip der „geplanten Obsoleszenz“ (JF 39/15) ist allerdings keine Apple-Erfindung. 1921 gründete Osram zunächst die „Internationale Glühlampen Preisvereinigung“. Das 1924 etablierte Phoebus-Kartell, zu dem neben Osram auch der Auslandsteil von General Electric (GE), Philips, Tokyo Electric oder Tungsram gehörten, kam – unter dem Vorwand der Normung – überein, die Glühbirnenbrenndauer von technisch möglichen 2.500 auf 1.000 Stunden zu verkürzen. Das steigerte etwas die Lichtausbeute und noch mehr die Absatzzahlen – bis sich 1939 die Kartellabsprache kriegsbedingt erledigt hatte.

Obwohl GE 1953 in den USA die Reduzierung der Lampenlebensdauer gerichtlich verboten wurde, nahm die absichtliche Verringerung der Haltbarkeit in anderen Bereiche erst richtig Fahrt auf und überschritt oft die Grenze zu „absichtlicher Schundproduktion“, wie der US-Kulturkritiker Vance Packard schon 1960 in seinem Buch „The Waste Makers“ (deutsche Übersetzung: „Die große Verschwendung“, Econ-Verlag 1961) beklagte. Daß für den Akkuwechsel beim iPhone ein teurer Werkstattaufenthalt erforderlich ist, hat den Weltmarktführer Samsung offenbar inspiriert: Seit dem Galaxy S6 muß auch bei den Koreanern tief in die Tasche gegriffen oder ein neues Modell gekauft werden.

Auch bei Fernsehern, Laptops oder Haushaltsgeräten wächst der „Phoebus“-Verdacht, wie ein aktueller Zwischenbericht zur „Analyse der Entwicklung der Lebens-, Nutzungs- und Verweildauer von ausgewählten Produktgruppen“ des Umweltbundesamts (UBA) nahelegt. Der „Entwicklung von Strategien gegen Obsoleszenz“ dürfte von seiten der Produkthersteller und des Handels gespannt entgegengeblickt werden – und ihre Lobbyisten werden nicht schlafen.

Zum wachsenden Berg von Elektroschrott – allein in der EU waren es 2014 knapp zehn Millionen Tonnen – leisten auf raschen Verschleiß kalkulierte Handys, Waschmaschinen, Kühlschränke oder Rasenmäher keinen geringen Beitrag. Daran hat, wie die Journalistin Meike Bischoff feststellt, das 2015 novellierte Elektro- und Elektronikgerätegesetz, das Hersteller verpflichtet, ihre Altgeräte zurückzunehmen, nichts geändert. Zumal sich eine „Wegwurfkultur“ etabliert hat, in der Konsumenten auch intakte Geräte häufiger austauschen.

Darum dürfte im Hafen von Ghanas Hauptstadt Accra, wo monatlich 500 Containerladungen mit Elektroschrott eintreffen und wo sich eine der weltweit größten Müllkippen dafür befindet, der Nachschub nicht ausgehen. Da es dort keine „umweltgerechte“ Entsorgung gibt, zählt die Deponie von Agbogbloshie, einenm Stadtteil Accras, deren Boden hochgradig mit Arsen und Quecksilber belastet ist, zu den am „schlimmsten verseuchten Orten“ auf der Erde. In dem Dossier „Müll“ der aktuellen Ausgabe des Dritte-Welt-Jounals iz3w (5-6/16) behandelt Bischoffs Report „Sondermüll nach Accra“ jedoch nur einen Aspekt des vielschichtigen Themas. Und trotz der Hinweise auf Kinder und Jugendliche, die ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, wenn sie Röhrenbildschirme zertrümmern oder Plastikumhüllungen verbrennen, um an den Kupferdraht zu kommen, ist ihr Beitrag nicht der beunruhigendste. Den liefert selbst die Studie über „Plastikmüll im Meer“ (JF 24/16) nicht, sondern der Hamburger Meeresbiologe Onno Groß, der sich den Hinterlassenschaften des Bergbaus zu Lande und zu Wasser widmet.

Darüber, was sich dabei „zu Lande“ abspielt, erteilte eine Umweltkatastrophe in Brasilien Anschauungsunterricht. Im November 2015 brach der Damm des Auffangbeckens einer Eisenerzmine im zwischen Rio de Janerio und Brasília liegenden Bundesstaat Minas Gerais. 60 Millionen Kubikmeter Abraum mit den bei der Erzförderung eingesetzten Chemikalien ergossen sich über ein Territorium von der Größe Portugals. Kein Einzelfall, so Groß: 2014 floß ein ähnlicher Giftcocktail – 15 Milliarden Liter Abwasser aus dem Abraumlager der Gold- und Kupfermine „Mount Polley“ in British Columbia (Kanada) in den nahen Hazeltine Creek und zerstörte unter anderem die Lebensräume von Lachsen. Zwei bis fünf Dammbrüche dieses Kalibers sowie 35 kleinere Havarien würden jährlich registriert. Auffangbecken von Minenbetrieben seien „tickende Zeitbomben“.

Abraumlager sind „tickende Zeitbomben“

„Zu Wasser“ malt Groß die Umweltfrevel in noch dunkleren Farben. Als die rücksichtslosesten unter den staatlichen Umweltzerstörern identifiziert Groß hier südostasiatische Staaten. In die flachen Buchten der indonesischen Insel Sulawesi durfte eine Goldmine 1996 täglich 2.000 Tonnen Abraum entsorgen. Es verschwand daraufhin nicht nur die Fischfauna, auch Menschen litten, da so Quecksilber, Arsen und Antimon auch in deren Nahrungskette gelangten.

Gelernt hätten die Behörden daraus nichts. Bis heute entsorgen allein eine Kupfer- und eine Goldmine in Indonesien pro Tag 160.000 Tonnen mit Schwermetallen und Chemikalien durchsetzten Schlamm in den Indischen Ozean, während eine Nickel-Kobalt-Mine in Papua-Neuguinea täglich 14.000 Tonnen Material in den Pazifik pumpt. 2018 soll vor der Küste des einstigen Deutsch-Neuguineas der kommerzielle Abbau von Massivsulfiden in der Bismarcksee beginnen: „Tiefseeschürfen“ mit unabsehbaren ökologischen Verheerungen, denn dies Projekt bedeute den Startschuß für den Wettlauf um die Rohstoffe im Meeresboden des Stillen Ozeans, an dem sich neben den USA, China und Japan auch Deutschland beteilige.

Auch die gern Weltrettungskompetenz für sich reklamierenden Uno sei untätig. Das liege, wie iz3w-Mitarbeiter Christian Stock resümiert, an der defizitären Prioritätensetzung der internationalen Umwelt- und Forschungspolitik, die auch den erstaunlichen Datenmangel zu verantworten habe. Zwar legen Zahlen zum weltweiten Müllaufkommen ebenso vor wie Prognosen über die Entwicklung bis 2025. Viele Zahlen von Uno und EU seien jedoch veraltet oder täuschten Genauigkeit nur vor. Für die mit hohem wissenschaftlichem Aufwand zu erstellende feinmaschige Erfassung der Stoffströme fehle es hingegen an Geld und politischem Willen. Eine stringente globale Müllpolitik stehe daher nicht auf der Agenda internationaler Institutionen. Dort rangieren statt dessen Freihandelsabkommen wie TTIP ganz oben, die garantiert „nur noch mehr Müll in die Welt bringen werden“.

Geschichte des globalen Phoebus-Kartells: spectrum.ieee.org