© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/16 / 01. Juli 2016

Umwelt
Ernstlich gefährdet
Volker Kempf

Seit zwölf Jahren wird über das Bienensterben in Deutschland gestritten. Im Verdacht stehen Neonikotinoide, die als Insektenvernichtungsmittel zum Einsatz kommen. Die Chemiebranche weist alle Schuld von sich und seziert wissenschaftliche Gutachten nach methodischen Schwächen. Eine Gegenthese lautet: Die Varroa­milbe sei für den Bienentod verantwortlich. Das mag sein, doch die kausalen Zusammenhänge zu Lasten der Neonikotinoide lassen sich kaum noch wegdiskutieren; sie stören die Larvenaufzucht, da sie den Gehalt des Botenstoffes Acetylchlorin im Futtersaft von Ammenbienen vermindern. In Experimenten wurde nachgewiesen, daß die Bienenlarven in Anwesenheit von Acetylchlorin viel seltener sterben. Dosen von Neonikotinoiden, wie sie auf dem Feld aufgebracht werden, schädigten Untersuchungen zufolge auch die Drüsen der Ammenbienen, schreiben Forscher der Uni Mainz im Fachjournal Plos One.

Summen unsere Bienen wegen der gefährlichen Neonikotinoide bald nicht mehr?

Die Beweislage ist erdrückend, doch es ist ähnlich wie 1962, als Rachel Carson in „Der stumme Frühling“ vor Pestiziden wie chlorierten Kohlenwasserstoffen (DDT) warnte und vor Phosphorsäure­estern wie E605. Die US-Biologin wurde verspotet und verleumdet, die Chemieindustrie reagierte mit der Gegendarstellung „Die Wissenschaft nimmt Rachel Carsons‘ Silent Spring nicht stumm hin“. Erst nach zehn Jahren wurde das DDT verboten, in Westdeutschland erst 1977. Der Schaden war immens. Die WHO meldete 500.000 Vergiftungsfälle in der Dritten Welt durch Pestizide, von denen zwischen 5.000 und 10.000 tödlich verliefen. Die Warnung, die Bienen summen wegen Neonikotinoide bald nicht mehr, sollte nicht lange zerredet werden, die Substanzklasse muß neu bewertet werden. Daß in der EU seit 2013 die drei umsatzstärksten Neonikotinoide nur noch gewerblich erlaubt sind und in bestimmten Kulturen gar nicht mehr, ist zu wenig.