© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Thomas Schulte-Kellinghaus. Sein Fall deckt Mißstände in unserem Justizwesen auf
Richter Redlich
Heiko Urbanzyk

Die Arbeit an unseren Gerichten stellt sich der gute Deutsche gemeinhin so vor: Ein Richter widmet sich gewissenhaft den Akten, hört Zeugen, holt Sachverständigengutachten ein. Erst nach erschöpfender Prüfung des Für und Wider und der Rechtslage ergeht ein Urteil. Der Richter ist an Vorgaben Dritter nicht gebunden. Ihm kann auch nicht gekündigt werden, wenn höhere Instanzen das Urteil als fehlerhaft aufheben. 

Die Wirklichkeit sieht anders aus – wie der Fall des 62jährigen Richters Thomas Schulte-Kellinghaus vom Oberlandesgericht Karlsruhe zutage fördert. Der gebürtige Bonner ist einer dieser idealen Richter aus der Vorstellungswelt des braven Bürgers. Unstreitig ist, daß der wackere Jurist deutlich mehr Arbeitsstunden buckelt als seine Kollegen. Seine Urteile werden in Fachzeitschriften überdurchschnittlich häufig abgedruckt. Ja, er gilt als gewissenhaft, wenn auch eigenbrötlerisch im persönlichen Umgang. Doch  Schulte-Kellinghaus arbeite zu langsam, wie seine Gerichtspräsidentin Christine Hügel 2011 befand. Schriftlich forderte sie ihn auf, seine „Erledigungsrate“ zu erhöhen. Denn diese lag 32 Prozent unter derjenigen seiner Kollegen. Arbeite er nicht effizienter, so Hügel robust, drohe ihm Amtsenthebung.

Schneller arbeiten oder Rauswurf? Wirkt sich ein „Schnell! Schnell!“ nicht negativ auf die Qualität der Rechtsprechung aus? Zudem: Die Drohung einer Amtsenthebung widerspreche seiner grundgesetzlich garantierten Unabhängigkeit und ja, unter dem „Erledigungsdruck“ leide die Urteilsqualität, klagte Schulte-Kellinghaus und wehrt sich gerichtlich gegen die Drohungen der Gerichtspräsidentin. Ohne Erfolg. Jüngst urteilte der Dienstgerichtshof für Richter, daß gegen das Vorgehen Hügels keine rechtlichen Bedenken bestünden. Nun hat der gescholtene Richter sein Schweigen gebrochen und ist nach vier Jahren Prozeß an die Öffentlichkeit gegangen: „Richter können nach diesem Urteil gezwungen werden, die Anwendung von Gesetzen den Interessen und Wünschen der Landespolitik anzupassen“, warnt Schulte-Kellinghaus. Und überdies zielten diese Wünsche auf Kostenminimierung im Justizwesen ab – zur Not auf Kosten von Justitia selbst.

„Eine ernsthafte und gesetzes-

treue Wahrheits- und Rechtsfindung ist mühselig und zeitaufwendig“, sekundiert ihm am Montag der frühere Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Nes-

kovic. Schulte-Kellinghaus verdiene jede Unterstützung gegen diesen „dreisten und unverhohlenen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit“. Doch Schulte-Kellinghaus selbst hegt nur wenig Hoffnung, beim Bundesgerichtshof, der seinen Fall nun zu entscheiden hat, Verständnis zu finden. Denn zumeist werden seine Ansichten unter Richtern zugleich als Kritik an der eigenen Arbeitsweise verstanden – sie nehmen sich wohl selbst nicht die Zeit, die es für ein gutes und gerechtes Urteil braucht.