© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Gegen „Rechts“ und die Polizei
Politisch motivierte Gewalt: Zur Wahrheit gehört, daß die Asylkrise in Deutschland auch den Linksextremismus befeuert hat
Michael Paulwitz

Mehr Asylbewerber – mehr rechtsextreme Gewalt: Diese scheinlogische Gleichung wird von den Zahlen der aktuellen Verfassungsschutzberichte nur bei selektiver Betrachtung gedeckt. Sowohl der Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz als auch der des bayerischen Landesamts verzeichnet für 2015 einen überproportionalen Anstieg linksextremer Gewalt. 

Eine Auswertung der bayerischen Verfassungsschützer stellt die vorsortierten Medienklischees vom Kopf auf die Füße: Gerade angesichts der millionenfachen Asylimmigration geht die höhere Bedrohung für den inneren Frieden von linksextremen Gewalttätern aus. Fazit der Auswertung: „Linksextremistisches Gewaltpotential nimmt im Kontext der Flüchtlingsthematik zu“.

Demnach haben linksextreme Gewalttaten von 2014 auf 2015 sprunghaft um das Anderthalbfache von 50 auf 122 zugenommen, rechtsextreme von 66 auf 91 dagegen nur um ein gutes Drittel. Dabei hat sich insbesondere die Zahl der Körperverletzungsdelikte verdreifacht; sie machen mittlerweile rund 85 Prozent aller Gewalttaten aus. 

Über die Hälfte gegen „rechte“ Versammlungen

Die sprunghafte Zunahme läßt sich nur zu einem geringen Teil durch verstärkte linksextreme Randale im Zuge des G7-Gipfels im bayerischen Elmau im Juni 2015 erklären. Denn mehr als die Hälfte der Gewalttaten wurden im Zusammenhang mit Protesten gegen „Versammlungen rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Parteien und Gruppierungen“ begangen. 

Mit anderen Worten: Zunehmende Proteste gegen Asylunterkünfte oder Einwanderungspolitik und Massenimmigration, Kundgebungen von „Pegida“-Ablegern, aber auch das Erstarken der AfD und ihre öffentlichen Auftritte werden von Linksextremisten gezielt als Vorwand für Übergriffe und Ausschreitungen benutzt.

Bayerns Verfassungsschutz geht davon aus, daß die „derzeit erkennbare Polarisierung in der Flüchtlings- und Islamdebatte“ weiter auf die linksextremistische Szene durchschlägt und die dort schon vorhandene Grundaggression gegen Staat und Gesellschaft verstärkt, und rechnet weiterhin mit einer „qualitativ wie quantitativ hohen Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene“. 

Dabei werden vor allem Polizeibeamte, die die Versammlungsfreiheit gewährleisten müssen, zur bevorzugten Zielscheibe; 86 von 122 Gewalttaten waren gegen sie gerichtet. Ausdrücklich betont die Auswertung des bayerischen Verfassungsschutzes, daß Vertreter der Partei AfD „in besonderer Weise im Fokus der linksextremistischen Szene“ stehen. 

Der differenzierte Blick unterscheidet sich positiv von der verzerrten medialen Wahrnehmung der Zahlen des Bundesverfassungsschutzberichts. Bundesweit stieg die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten um 42 Prozent auf 1.408, die der linksextremen dagegen um 62 Prozent auf 1.608. Die letztere, alarmierendere Entwicklung fand dennoch in den Schlagzeilen der etablierten Leitmedien von Stern („Rechte Gewalt nimmt dramatisch zu“) bis FAZ („Drastischer Anstieg rechtsextremer Gewalttaten“) keinen Niederschlag. Der Schluß liegt nahe, daß dem Anstieg der linksextremen Gewalt bundesweit ähnliche Entwicklungen zugrundeliegen wie die vom bayerischen Verfassungsschutz beobachteten. Auch auf ganz Deutschland bezogen richtete sich das Gros der linksextremen Gewalttaten, fast zwei Drittel, gegen Polizei und Sicherheitsbehörden. 

Drastisch gestiegen ist sowohl auf links- wie auf rechtsextremer Seite die Zahl der Gewalttaten gegen das jeweils andere „Lager“. Der Bundesbericht verzeichnet einen Anstieg rechtsextremer Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche Linksextremisten von 139 auf 252, von linksextremen Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten sogar von 367 auf 833 Fälle. Wiederum ist auch in ganz Deutschland die AfD ein Hauptziel linker Gewalttäter geworden. 

Verfassungsschutz: eher situative, spontane Taten

Dagegen nimmt sich die medial und politisch gern mit dem Vergrößerungsglas betrachtete Dimension rechtsextremer Gewalttaten gegen Asylbewerberunterkünfte vergleichsweise gering aus. Der Bundesbericht verzeichnet 153 solcher Gewalttaten, bei insgesamt gut 900 „fremdenfeindlichen“ Gewalttaten. 

Wie gefestigt der „rechtsextremistische“ Hintergrund bei diesen Delikten ist, stellen die Bundesverfassungsschützer selbst in Frage: Bei einem Großteil handele es sich „eher um situative und spontan ausgeführte Taten von Personen aus der engeren Wohnumgebung“, zwei Drittel der Tatverdächtigen seien vorher weder durch strukturelle Szenezugehörigkeit noch durch politisch motivierte Straftaten aufgefallen. 

Das läßt auch den Schluß zu, daß die Zuschreibung zum „rechtsextremistischen“ Spektrum hier eher dem äußeren Anschein als der inneren Motivation der Täter folgt.