© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Generale ohne Plan
Großbritannien: Mit ihren Rückzügen stoßen Boris Johnson und Nigel Farage nicht nur ihre Anhänger vor den Kopf
Josef Hämmerling

Sah es nach dem Brexit noch so aus, als ob Boris Johnson der neue Premier Großbritanniens wird und Nigel Farage mit seiner United Kindom Independence Party (Ukip) zu einem immer wichtigeren Faktor in der britischen Politik aufsteigt, sind beide Männer nur zwei Wochen später von der politischen Bühne verschwunden.

 Für den ersten Paukenschlag sorgte  der frühere Londoner Bürgermeister Johnson, indem er überraschend erklärte, nicht für den Vorsitz der Konservativen Partei kandidieren zu wollen. Dabei galt er in den Medien und auch bei den Buchmachern als Favorit, die Nachfolge von David Cameron anzutreten. Um so überraschender dann sein Rückzug. 

Die Torys stehen vor einer Zerreißprobe 

Auslöser des Anfangs vom Ende Johnsons war eine E-Mail von Sarah Vine, der Ehefrau von Justizminister Michael Gove, an ihren Mann, die vom Sender Sky News veröffentlicht wurde: Er solle sehr vorsichtig sein und sich konkrete Zusagen von Johnson bezüglich der Besetzung des Kabinetts geben lassen. Nur dann solle er Johnson seine Hilfe garantieren. Gove gilt in den britischen Medien als der Mann, der neben Farage wirklich hinter dem Brexit steckt, den dieser schon seit Jahren vorantrieb und den früher EU-freundlichen Johnson überzeugte, ins Lager der EU-Gegner zu wechseln. Wohl wissend, daß dessen große Popularität das „Leave“-Lager massiv stärken würde.

Nach der für das Brexit-Lager erfolgreichen Abstimmung warfen aber viele EU-Gegner Johnson vor, sich zum „Softie“ zu entwickeln. So, als dieser erklärte, Großbritannien werde auch nach dem Brexit Teil des EU-Binnenmarktes bleiben. Für seine Unterstützung Johnsons als neuen Chef der Torys forderte Gove, der während des Brexit-Wahlgangs engster Verbündeter des früheren Londoner Bürgermeisters war, die Berücksichtigung mehrerer enger politischer Weggefährten. So sollte der bei den Torys umstrittene Dominic Cummings Stabschef werden und Wirtschaftsminister George Osborne im Amt bleiben. Beides lehnte Johnson ab. Der entscheidende Schlag kam aber, als Energieministerin Andrea Leadsom, mit der an seiner Seite Johnson seine Kandidatur bekanntgeben wollte, ihren Rückzug erklärte. Danach schwand die Zustimmung für Johnson bei den Torys. Hatte er zuerst noch 97 der 330 konservativen Abgeordneten hinter sich, sank die Zahl seiner Anhänger einem Bericht des Telegraph zufolge auf nur noch 47.  

Das Ende wurde eingeläutet, als am frühen Morgen des vergangenen Donnerstag plötzlich Gove erklärte, er werde selber für das Amt des Tory-Vorsitzes kandidieren. Er sei, „wenn auch zögernd, zu der Überzeugung gelangt, daß Boris nicht in der Lage ist, die Führung zu gewährleisten oder ein Team zusammenzustellen, das den künftigen Aufgaben gewachsen ist.“ Nachdem dann auch noch Innenministerin Theresa May ihre Kandidatur erklärte, schmiß Johnson die Brocken hin. Ohne nähere Begründung und ohne Fragen zu beantworten, erklärte Johnson, er werde nicht kandidieren. 

Der Rücktritt löste massive Reaktionen aus. Eine der schärfsten kam vom früheren stellvertretenden Premier, Lord Michael Heseltine. „Johnson ist wie ein General, der seine Armee ins Feld führt, dort dann aber weggeht und erklärt, es sei nicht seine Aufgabe, das alles zu einem Ende zu bringen.“ Johnson habe die „Partei auseinandergerissen und die größte Krise der modernen Geschichte zu verantworten. 

Inzwischen gibt es fünf Kandidaten für den Vorsitz der Konservativen Partei: Justizminister Michael Gove, die von Johnson favorisierte Energieministerin Andrea Leadsom, Ex-Verteidigungsminister Leam Fox (alle drei Brexit-Befürworter) sowie Theresa May und Arbeitsminister Stephen Crabb, die als pro-EU gelten. Gerade May, die vom Telegraph schon 2010 als „aufgehender Stern“ und 2013 vom Independent als „Eiserne Lady im Wartestand“ bezeichnet wurde, führt derzeit bei den Buchmachern. Ihr zugute kommt, daß viele Briten anscheinend vom Erfolg des Brexits überrascht wurden und nun Angst vor der eigenen Courage zu bekommen scheinen, May sich aber für eine strikte Begrenzung der Einwanderung nach Großbritannien ausspricht. Dies war einer der Hauptkritikpunkte vieler Briten an der Politik der EU gewesen. Einer Umfrage der Sun on Sunday zufolge liegt die 59jährige derzeit rund 30 Prozentpunkte vor ihrem stärksten Rivalen Gove.

Den zweiten Paukenschlag setzte am Montag morgen Nigel Farage. Mit der Begründung, er habe sein wichtigstes politisches Ziel, den EU-Austritt Großbritanniens erreicht, erklärte er seinen Rücktritt vom Amt des Ukip-Vorsitzes. „Ich war nie und ich wollte nie ein Berufspolitiker werden“, erklärte er in einer von den Medien übertragenen Rede. Nach dem Brexit wolle er nun sein Leben zurückhaben. Er bleibe aber auch weiterhin Mitglied im EU-Parlament, und vor allem werde er auch weiterhin Austrittsbemühungen von Parteien in anderen EU-Ländern aktiv unterstützen. 

Einen Rücktritt vom Rücktritt, wie 2015 nach einem schwächer als erwartet ausgefallenen Wahlergebnis für die Ukip, werde es aber diesmal nicht geben, stellte Farage klar. Eine der ersten Reaktionen kam vom Frakionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). Er bewertet den Rücktritt als „verantwortungslos und feige“. Douglas Carswell, einziger Ukip-Abgeordneter im Parlament, setzte einen drauf und kritisierte Farages Schritt im Gespräch mit BBCs „Daily Politics“ als „politisch desaströs“.