© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

„Es wäre schön, wenn man das Gesetz verstehen könnte“
Finanzpolitik: Anhaltende Kritik an der Erbschaftsteuerreform / Komplette Abschaffung oder kommt die grüne Flat-Tax für alle?
Heiko Urbanzyk

Das eher regierungsfreundliche Institut der deutschen Wirtschaft (IW) redet ausnahmsweise Klartext: „Es wäre schön, wenn man den Gesetzestext auch als Mittelständler verstehen könnte“, sagt IW-Steuerexperte Martin Beznoska. Die Reform des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes (ErbStG) sei viel zu kompliziert.

Die Erben kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) würden zwar weniger Steuern zahlen als bisher. Bei einem Unternehmenswert ab 26 Millionen Euro – und auch in dieser Größe gibt es Familienunternehmen – kommt es aber auf den Einzelfall an. So lassen sich die Ergebnisse einer aktuellen Studie des IW zusammenfassen, die das derzeit noch geltende Erbschaftssteuerrecht mit den Folgen einer Umsetzung des Reformentwurfes verglich.

Reform mit neuer Verschonungsbedarfsprüfung

Der Entwurf passierte am 24. Juni den Bundestag. Diesen Freitag ist nun der Bundesrat dran, denn die Steuer wird durch die Länder vereinnahmt. Zehn von 16 Finanzministern fordern, daß die Länderkammer den schwarz-roten Gesetzentwurf ablehnt und den Vermittlungsausschuß anruft – dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor anderthalb Jahren eine Neuregelung bis Ende Juni 2016 verlangt. Die Karlsruher Richter hatten am 17. Dezember 2014 die Paragraphen 13a, 13b und 19 Absatz 1 des ErbStG als grundgesetzwidrig moniert (1 BvL 21/12). Es stehe dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich frei, aus wirtschaftspolitischen Gründen Firmen­erben von der Steuer zu befreien. Eine umfassende Verschonung von Großunternehmen, wie es das Gesetz ohne nähere Bedingungen vorsah, verstoße aber gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz.

„Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist“, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Vorschriften waren aber bis zum 30. Juni 2016 weiter anwendbar. Der Regierungsentwurf von 2015 scheiterte. Nun herrscht ein Schwebezustand, für all jene, die die Übertragung ihres Familienunternehmens vorbereiten müssen.

Für den Reformentwurf rechnet die IW-Studie an einem KMU-Beispiel vor, daß bei einem Betrieb mit 2,5 Millionen Euro Jahresgewinn die Erbschaftssteuer nach Steuerklasse I (Kinder als Erben) nur noch rund 620.000 Euro statt 1,5 Millionen Euro betragen werde. Der Berechnungsweg zu diesem Steuervorteil ist steinig. Durch Erfüllung unterschiedlicher Kriterien werde aus dem Firmenwert von 44,6 Millionen Euro nach altem Recht nun ein Unternehmenswert von 21,8 Millionen Euro. Der Betrieb liegt dadurch unter der neuen Freigrenze von 26 Millionen Euro.

Ab einem Betriebsvermögen von 26 Millionen Euro würden Erben grundsätzlich nicht mehr verschont. Wer aber nachweisen könne, daß die Steuer ihn überfordern würde, könne trotzdem in den Genuß einer Verschonung kommen.

Dafür schaut der Fiskus im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung neben dem Firmen- auch auf das Privatvermögen des Erben. Bis zur Hälfte des Privatvermögens dürfte der Staat zur Begleichung der Erbschaftssteuerschuld heranziehen, falls das Betriebsvermögen nicht ausreicht. Wer sich nicht in sein Privatvermögen schauen lassen möchte, kann das neue Abschmelzmodell nutzen: Das Privatvermögen wird nicht offengelegt. Aber der Steuernachlaß fällt um so geringer aus, je höher das Erbe ist. Beträgt das Unternehmenserbe mehr als 90 Millionen Euro, gibt es keine Verschonung mehr. Zur Erinnerung: Nach altem ErbStG hätte der Erbe durch Firmenfortführung und Arbeitsplatzerhalt nach fünf Jahren 85 Prozent Steuernachlaß, nach sieben Jahren 100prozentige Erbschaftssteuerfreiheit erlangt.

Die Wirtschaft steht dem neuen Entwurf gespalten gegenüber. Der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wertet den Reformentwurf als Erfolg. DIHK-Präsident Eric Schweitzer hält die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Verschonungsprüfungen für große Unternehmen für ausreichend umgesetzt.

Droht erneuter Gang zum Bundesverfassungsgericht?

 „Die Einigung ist ein wichtiger Schritt mit entscheidenden Verbesserungen für viele mittelständische Familienunternehmen“, betont Lutz Goebel, Präsident des Familienunternehmer-Verbands. Mit den Nachteilen für große Familienunternehmen geht der Chef des Krefelder Anlagenbauers Henkelhausen hart ins Gericht: „Der Gesetzgeber muß aufpassen, daß er nicht die eigenkapitalstarken großen Familienunternehmen dafür bestraft, solide zu wirtschaften.“

Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), wird hingegen deutlicher: Der großkoalitionäre Kompromiß zum neuen ErbStG schade dem Mittelstand in Deutschland. „Die Erbschaftsteuer ist und bleibt ungerecht, belastet den Mittelstand über Gebühr und gefährdet Arbeits- und Ausbildungsplätze“, so der eher konservative BVMV-Chef. „Für mehr als 80 Prozent der Mittelständler nimmt die bürokratische Belastung sogar noch zu.“ Es sei „absehbar, daß sich das Bundesverfassungsgericht bald wieder mit dem Thema beschäftigen wird“.

Dafür muß der Entwurf aber erst einmal den Bundesrat passieren. Die grün mitregierten Länder wollen das verhindern. Die Grünen treten für ein vermeintlich einfaches System ein: eine pauschale Steuer in Höhe von 15 Prozent für Unternehmen, mit keinerlei Verschonungsregeln für Betriebsvermögen. Doch auch die Flat-Tax-Variante berücksichtigt die aktuelle IW-Studie. Sie kommt zu dem Schluß, daß der Grünen-Vorschlag die Erben großer und sehr großer Unternehmen im Vergleich zur angedachten Reform steuerlich bevorzugen, die kleinen und mittleren Unternehmen benachteiligen würde.

„Erbschaftsteuerreform – Auswirkungen für Unternehmenserben“ (IW Policy Paper 10/16):  iwkoeln.de