© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Pankraz,
Bud Spencer und die erfrischenden Prügel

Allerorten wird zur Zeit die rapide Ausbreitung körperlicher Gewaltanwendung beklagt. Politische Demonstrationen mündeten immer öfter in brutale Prügelei oder Schlimmeres: Fensterscheiben einschlagen, Molotowcocktails schmeißen, Autos anzünden. Selbst gestellte Diebe, die früher schnell das Weite suchten, prügeln sich heute zunächst einmal. Der Bürger, so lesen wir tagtäglich, fühle sich nirgendwo mehr sicher, weder auf der Straße noch zu Hause.

Parallel dazu, erfahren wir weiter, nehme das Zeigen von körperlicher Gewaltanwendung in den Medien immer mehr zu. Semiotiker, die das „Gestenmenü“ in Film und Fernsehen erforschen, haben festgestellt, daß „gewalthaltige Zeichenbündel“, was ihre Häufigkeit betrifft, ganz vorne liegen, direkt hinter „Gespräche führen“ und „Auto fahren“. Das Sich-Prügeln wird dabei noch vor dem In-die-Luft-Jagen von irgend etwas genannt; es folgen das Anzünden von Häusern und das Herumfuchteln mit dem Revolver.

Merkwürdigerweise wiegeln die einschlägigen Studien fast unisono eifrig ab. Das Gewaltzeigen in den Medien, so heißt es, diene dazu, „Aggressionen abzuführen“. Der wirkliche Alltag mit seinen ewigen Rücksichtnahmen auf Lebenspartner, Vorgesetzte und Verkehrsteilnehmer führe „Aggressionsstau“ herbei, die televisionären Prügel, Revolverdrohungen und pyrotechnischen Exhibitionen im Fernsehen am Abend lieferten eine „Kompensation“ für das, was man tagsüber habe hinunterschlucken müssen.


So weit, so ungut. Denn man kann (und sollte wohl auch) die Sache genau andersherum sehen. Fiktive Revolver und Molotowcocktails bauen nicht ab, sondern auf, pazifizieren nicht, sondern erzeugen unterschwellige Gewaltpotentiale.

Und was die berühmten TV-Prügeleien betrifft, die der jüngst verstorbene Bud Spencer (zusammen mit Terence Hill) so glorios zu offerieren wußte, so machen sie ja geradezu Lust auf wirkliche Prügelei, weil sie in einer hochritualisierten Form, dargeboten werden, die von der Wirklichkeit ganz ungeniert wegführt in ein Märchenreich des erfrischenden Humors und der ungebrochen guten Laune.

Vergleichsweise harmlos geht es dabei noch in den Saloons der Westernfilme zu, die Spencer/Hill gedreht haben, obwohl sich auch dort schon die Unwahrscheinlichkeiten ballen. Die laut klatschende Wucht der vorgeführten Schläge würde im wirklichen Leben die Kontrahenten sofort dauerhaft zu Boden schicken. Aber nein, wie Stehaufmännchen stellen sie sich immer wieder zum Kampf, jeder kriegt sein Teil, Whiskyflaschen werden auf Köpfen zerschmettert, die danach eine einzige klaffende Wunde sein müßten, und man erkennt das elegant-komische Ballett von gelernten Kaskadeuren, das da stattfindet.

Ununterbrochen setzt es jene vom Slapstick-Kino erfundenen Gags, die eine einzige Gaudi sind. Einer duckt sich blitzschnell ab, und der Schlag, der ihm galt, trifft einen bis dato völlig Unbeteiligten, der sich nun wohl oder übel ebenfalls ins Getümmel stürzen muß. Andere vom Schlag Getroffene bleiben zunächst einmal stehen, wo sie doch längst im Land der Träume sind, und rollen komisch mit den Augen. Schlammpfützen und Waschtröge stehen bereit, um Wankende aufzunehmen. Jeder ernsthafte Zusammenhang ist suspendiert, selbst wenn wir uns in einer Tragödie befinden. 

Viele Filme von Bud Spencer und Terence Hill sind nur der Prügelei wegen inszeniert, und es sind Lustspiele, Komödien. Wie bei Winnetou und Old Shatterhand, wie bei Asterix und Obelix sind die moralischen und dramaturgischen Verhältnisse von vornherein klar: Die Guten sind auch die Starken, die immer siegen, der gutplazierte Kinnhaken ersetzt die Textpointe, der Handlungsknoten löst sich, indem die Bösen klirrend durch geschlossene Fenster segeln oder von herabstürzenden Äpfeln oder Mehlsäcken dekorativ begraben werden, worauf sie dann – meistens etwas humpelnd – das Weite suchen.


Im Grunde ist es völlig gleichgültig, ob dabei Aggressionen auf- oder abgebaut werden. Die televisionäre Keilerei erweist sich als Wert an sich, als fiktive Einlösung einer Utopie der kurzen Wege, in der die Bosheit auf schnellste, rein mechanische Weise, durch bloße Muskelkraft, weggeräumt wird, wobei ihre Repräsentanten einerseits eine ungemein komische Figur machen, andererseits weder in ihrer Physis noch in ihrer Menschenwürde nennenswert beschädigt werden.

So gut wie wohl nirgends sonst läßt sich hier die Differenz zwischen Fiktion und Wirklichkeit studieren. In letzterer sind Prügel bekanntlich – um noch einmal daran zu erinnern – nichts weniger als komisch oder heiter. Sie sind schmerzhaft und gelten zu Recht als schweres Verbrechen, als frontaler Angriff auf die Unverletzlichkeit der Person und auf die Menschenwürde, weshalb sie ja auch in allen zivilisierten Nationen längst aus dem Katalog der Strafandrohungen getilgt wurden, selbst für Internate und Eliteschulen.

Zwar gibt es, speziell in England, immer mal wieder Diskussionen darüber, ob durch die Ersetzung von Haftstrafen durch Prügelstrafen die überfüllten Gefängnisse nicht wirkungsvoll entlastet werden könnten, aber dergleichen dringt selbstverständlich nicht durch, bleibt Hobby für Ex-Kolonialmajore und andere Leserbriefschreiber.

Um so bemerkenswerter die zentrale Rolle von Prügeleien im Fernsehen. Das Medium erweist sich einmal mehr als weder realistisch noch normstiftend, erscheint als das schlechthin Andere, das gleichwohl, fast wie aus dem Jenseits, unseren Seelenhaushalt beeinflußt.

Ähnliches findet man allenfalls noch in der hohen Lyrik, so daß man definieren könnte: Die großen Prügelszenen in Spencer/Hill-Filmen sind Lyrik fürs Volk, speziell für die Jugend, reine Erbauung, Linguistik des Unsagbaren.

„Worüber man nicht klar sprechen kann, darüber muß man schweigen“, konstatierte einst der große Philosoph Ludwig Wittgenstein. Seit Bud Spencer & Co. können wir guten Gewissens hinzufügen: Worüber man nicht klar sprechen kann, darüber kann man sich immer noch prügeln.