© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Insel der Gestrandeten
Regiedebüt: Bernadette Knollers „Ferien – Vivian Baumann will nur ihre Ruhe“
Sebastian Hennig

Junges deutsches Erzählkino gibt sich immer sehr schwermütig und sehr leichtsinnig zugleich. Es gelingt ihm fast nie, eine Handlung zum Schweben zu bringen. Das wird allenfalls vorgetäuscht, indem aufgemalte Wolken hinter den bleischweren Figuren vorbeigezogen werden. Dieses System von Bedeutungsschwere und schierem Nonsens verbreitet schlechte Laune. Über solchen Existentialismus mit dem Geschmack und der Farbe von Fruchtgummi trösten manches Mal allein die Fähigkeiten der Schauspieler hinweg. Die Erwartungen sind also denkbar gering, wenn ein von der Babelsberger Filmuniversität koproduzierter Absolventenfilm angekündigt wird, für den knapp dreißigjährige Damen jeweils für Regie, Buch und Kamera verantwortlich zeichnen. Um so erfreulicher ist die Überraschung.

„Ferien“ in der Regie von Bernadette Knoller nach dem Drehbuch von Paula Cvjetkovic verbreitet eine eigene Stimmung. Die Hauptfigur Vivian Baumann (Britta Hammelstein) soll eine zuverlässige Stütze der Gesellschaft werden. In der Eingangsszene wird die junge Staatsanwältin von der Richterin aufgefordert, zu einem banalen Diebstahlsdelikt das Wort zu ergreifen. Das bleibt ihr im Hals stecken, und sie kann ihre staatstragende Rolle kaum erfüllen. Dem Zuschauer bleibt die Situationstragik erspart. Er sieht nur den Moment, in dem der lähmende Zweifel aufkeimt.

Überhaupt ist es viel bedeutungsvoller, wie Hammelstein als Vivian blickt, als was sie dabei ausspricht. Ihre Mundwinkel sind fast immer leicht nach unten gezogen. Wenn den Zügen ein schelmisches Lächeln abgetrotzt wird, stellt sich eine eigenartige Spannung ein. Die Einrichtung der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Freund Adam (Golo Euler) vertieft die Zweifel. Ihre Traurigkeit wirkt zwar komisch, sie wird aber nicht unbarmherzig ausgestellt. Vivian wirft sich auf das elterliche Sofa. Die Mutter ist von der Remigration ins Elternhaus gar nicht angetan. Sie rät ihr, ein Kind zu bekommen, damit sie nicht um sich selbst kreist.

Wir sehen das ganz normale Leiden am Leben, welches die meisten heldenhaft zu unterdrücken wissen. Es wird auch in „Ferien“ nicht viel Wind darum gemacht. Es ist nur der Humus, um die Geschichte darauf erblühen zu lassen. Der Vater nimmt die Tochter schließlich auf eine Insel mit. Diesen bedrohlich hyperaktiven Typen spielt Detlev Buck, der im wirklichen Leben der Vater der Regisseurin Knoller ist.

Die Insel ist ein Ort der Gestrandeten wie in Lutz Seilers Roman „Kruso“ (JF 42/14). Die wenigen notwendigen Naturaufnahmen am Meer wurden auf Borkum gedreht. Für die anderen Szenen diente das brandenburgische Dorf Cammer im Planebruch unweit von Potsdam. Vivian sucht instinktiv Anschluß an diese Inselschatten und entzieht sich dem väterlichen Ertüchtigungsprogramm.

Als sie verheult im Bett liegt, kommt das Zimmermädchen Biene (Inga Busch), alleinerziehende Mutter eines 13jährigen, und schluchzt ebenfalls vor sich hin. Später auf der Promenade fragt Vivian sie, ob sie bei ihr wohnen dürfe und erhält eine Zusage. Gemeinsam und schweigend trägt sich Elend leichter. Biene hat eine Bastelgruppe für Moosmännchen um sich gesammelt, die auf einen Schlag desertiert, weil neue Fanale der Selbstverwirklichung leuchten. „Ich fange ständig was Neues an, und alle andern sind immer schon fertig mit allem.“

An solchen Stellen erinnert der Film zuweilen an Frauke Finsterwalders und Christian Krachts „Finsterworld“. Andere Szenen und Filmbilder lassen an Herbert Achternbusch denken. Dabei ist „Ferien“ natürlich viel weniger böse als diese und durchaus ein behagliches Sommerkino, dem es gelingt, traurige Verhältnisse in heiteres Licht zu rücken. Daran ist nichts unaufrichtig. Das Drehbuch zeugt von einer besonderen Beobachtungsgabe. Dergleichen läßt sich nicht ausdenken. Es muß erlebt werden. Die wenigen Dialoge werden zuweilen von den Nebengeräuschen der Wespen, Möwen, Nachtigallen, von Wellenschlag und Schiffshupen, beinahe verschluckt.

Der Film zeigt die verkrachten Existenzen als die eigentlichen Hüter des Seins. Ferdinand von Schirach spielt den kauzigen Inhaber eines Ladens ohne Kundschaft. Dieser Otto versteht sich als Forscher, während seine geheime Leidenschaft wohl eher den Torten und dem Speiseeis gilt. Neben Biene vervollständigen eine stämmige Schnapsdrossel und ein scheuer blonder Knabe aus der Nachbarschaft die Insel-Gruppe.

Zuweilen läßt sich Vivians Vater blicken. Er scheitert mit allen Motivationsversuchen und steckt sich selber mit Zweifeln an. In einer Art Kartenspiel soll die Tochter ihre Visionen benennen. Als er Gemeinplätze wie Glück und Gesundheit nicht gelten lassen will, wird sie gezwungenermaßen deutlich: Sie will in Ruhe gelassen werden. Nachdem beinahe das Haus niedergebrannt wäre, sitzen sie alle auf dem Sand und betrachten einen gestrandeten riesigen Walfisch.

Den Film als Pippi-Langstrumpf-Syndrom mit einer albernen Flucht vor dem Erwachsenwerden abzutun, würde verkennen, daß sich eine Flucht vor der Verantwortung ebensogut auf falsche Aufgaben wenden kann. Weil das Ausweichen nicht als Depression oder Burn-out pathologisiert wird, bleibt das Leben unvorhersehbar und die Geschichte behält ihren Zauber.