© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/16 / 08. Juli 2016

Lieber Flosse als Füße
Mermaiding: Meerjungfrauen erobern deutsche Schwimmbäder
Katharina Puhst

Anmutig schnellen schillernde Wesen durch das Wasser. Mähnen zieren ihre Köpfe, schmiegen sich in gleichmäßigen Bewegungen an sie, bevor sie sich wieder von ihnen lösen. Der Oberkörper ist menschlich, hüftabwärts erstreckt sich ein langer Fischschwanz. Fast ist es, als würde Hans Christian Andersens kleine Meerjungfrau aus dem Märchenbuch zum Leben erwachen. „Mermaiding“ lautet der Trend aus den USA, der auch hierzulande zunehmend Begeisterung findet. Überwiegend Frauen – von jung bis alt – geben sich dem Spaß hin, ihre Beine in einen Spandex-Schlauch zu fädeln, an dessen Ende sich eine Monoflosse befindet. Einmal eine Meerjungfrau sein und eine Flosse anstelle von Füßen haben – welches Mädchen träumt nicht davon?

Profi-Meerjungfrau Natalie Grande schlüpft in Berlin seit über 15 Jahren regelmäßig in das Schuppenkleid. Die Stuntfrau und Mitgründerin der „Meerjungfrau Apnoe Akademie“ leitet den ungewöhnlichen Kurs im Schwimmbad. Tatsächlich fühlt sich beim Selbstversuch der Stoff um die Beine wie eine Strumpfhose an, dehnbar, wenngleich nur begrenzt. Auch wenn die Beine zusammenbleiben, erweist sich die Befürchtung, im Schwimmbecken damit unterzugehen, bald als überflüssig. Mit ein paar Beinschlägen und kräftigem Armrudern ist rasch wieder die Oberfläche erreicht.

Gar nicht so einfach, so durchs Wasser zu gleiten

Wer meint, mit Geplansche sei es getan, irrt sich: Der Körper muß die Bewegung einer Welle imitieren, um durchs Wasser zu gleiten, eine Technik, die zuerst einmal erlernt sein will. Auch die Atmung und das Luftanhalten müssen trainiert werden, denn es gilt, mehrere Bahnen zu tauchen, was in der Tiefe leichter als nahe der Wasseroberfläche ist. Daher darf die Disziplin wohl zu Recht als Sportart bezeichnet werden, denn sowohl Muskulatur als auch Atmung werden gestärkt und der Körper aufgrund der Wellenbewegung entspannt. Nicht zu vergessen ist dabei der Druckausgleich, den eine „Sirene“ oder ein „Meermann“ unter Wasser anwendet, um schmerzlos tauchen zu können.

Mit großer Begeisterung spielen die Kinder aus der Gruppe in einem Berliner Hallenbad die Rolle der mystischen Kreatur, und sie können sich ein wenig fühlen wie Disneys „Arielle“, deren Geschichte zusammen mit ihrem Prinz Erik – anders als in Andersens Erzählung – ein glückliches Ende findet.

Der Wunsch, ein Fischkostüm zu tragen, das in der Regel zwischen 120 und 160 Euro kostet, geht wohl auf die achtziger Jahre zurück, als Kino und Fernsehen Filme mit Seejungfrauen ausstrahlten. Zwei der bekanntesten dürften die erfolgreiche Komödie „Splash – Eine Meerjungfrau am Haken“ (1984) mit Tom Hanks und Daryl Hannah in den Hauptrollen sowie der Zeichentrickfilm „Arielle, die Meerjungfrau“ (1989) gewesen sein. Seit jener Zeit fühlten sich Menschen dazu inspiriert, eigene Unterwasserchoreographien einzuüben und die Gestalt einer Nixe anzunehmen. Die erste Meerjungfrauenschule überhaupt wurde 2012 von der Deutschen Katrin Felton eröffnet. Heute kann in vielen Ländern Mermaiding erlernt werden. Das Fotografieren darf dabei nicht fehlen, und so gibt es Zubehör wie wasserfeste Schminke und Blüten zum Verzieren der Haare und sogar eine Mißwahl.

Eine Meerjungfrau drückt in erster Linie viel Weiblichkeit aus und verbindet Jugend mit Unberührbarkeit. Im Deutschen gibt es etliche Bezeichnungen wie „Nymphe“, „Nixe“, „Seejungfrau“, „Meerjungfrau“, „Fischweib“, „Wasserfrau“, „Sirene“, die allerdings unterschiedlich konnotiert sind. So bedarf eine Meerjungfrau des Schutzes und verkörpert in gleichem Maße Zartheit wie Unschuld und kann nur durch die Liebe eines Menschen zu einem vollwertigen Menschen mit Seele werden. Dagegen mutet eine Nixe bedrohlich an. Sie zieht die Männer in ihren Bann, indem sie diese mit ihrer übernatürlichen Schönheit sowie verführerischem Gesang umgarnt. In den Sagen und Gedichten endet die Verführung meistens mit dem Ertrinken des Mannes. Irgendwo zwischen Verführung und Unschuld muß sich demnach etwas ansiedeln, was Mermaiding für so viele Frauen aufregend macht.