Zwei Straßen weiter wohnt Kante. Kante ist ein Original des Viertels, ein irgendwie aus den Siebzigern übriggebliebener Motorradrocker, mit langer Mähne und Lederhose mit weitem Schlag. Sein ganzer Stolz ist seine Harley. Ein Riesenungetüm mit viel Chrom und Totenkopf-Zierat. Wenn Kante nach Hause kommt, fallen die Leute in der Straße vom Sofa, so laut sind seine Auspufftöpfe. „Kante“ sagen sie dann nur, wenn die Wohnzimmerscheiben vibrieren.

Morgen feiert die Hausgemeinschaft den Geburtstag von „Omma“ aus dem Erdgeschoß. Omma wird 87, und alle sind bei ihr zum Geburtstagskaffee eingeladen. Wir möchten ihr eine kleine Freude machen, und sie hat tatsächlich einen besonderen Wunsch: Sie möchte so gern einmal auf Kantes Motorrad mitfahren, weil sie das satte Wummern so liebt.

Von Gerda kriegt sie einen Leder­blouson, Bernie hat noch einen Helm in seiner Garage.

Wir lachen! Omma auf Kantes Chopper, hahaha! Aber warum nicht? Wir klingeln bei Kante und fragen ihn, ob er mit Omma auf dem Sozius nicht ein paar Runden um den Block drehen könnte. Er scheint sich nicht ganz sicher, ob wir ihn wohl veräppeln wollen. Aber dann legen wir ein paar Scheine Spritgeld zusammen. Das Geldbündel verschwindet in der Lederweste. Kante knurrt: „Geht klar.“

Eine halbe Stunde später ist es soweit: Omma mußte erst eine weite Hose suchen. Von Gerda kriegt sie einen taillierten Lederblouson aus den Achtzigern, Bernie hat noch einen Helm in seiner Garage. Wir helfen Omma auf die Harley; Kante erklärt ihr, daß sie sich festhalten soll. Es sieht zum Piepen aus, Dutzende Handyfotos werden gemacht.

Dann bollert Kante los, am Ende der Straße biegt das Motorrad um die Ecke. Nach mehr als anderthalb Stunden fragen wir uns, ob wir uns Sorgen machen sollten. 

Nach fast zwei Stunden endlich aus der Ferne das infernalische Knattern. „Kante.“ Er biegt in die Straße ein und klappt den Seitenständer aus, wir hieven Omma vom Rücksitz. Sie schwebt im siebten Himmel und strahlt wie ein kleines Kind. Jetzt gibt’s aber was zu erzählen ...