© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Unter Beobachtung
AfD: Jetzt rufen Etablierte den Verfassungsschutz als Druckmittel auf den Plan
Dieter Stein

Drei Jahre nach der Gründung der AfD bringen Politiker der etablierten Parteien eines der schwersten Geschütze in Stellung: den Verfassungsschutz. Am vergangenen Sonntag machte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf mit der Schlagzeile „AfD-Politiker im Visier“. Danach ruft der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) dazu auf, die AfD „mit Blick auf eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu bewerten“. Wer genauer hinsieht – doch wer tut dies? – merkt, daß nichts geklärt ist, nichts feststeht. Semper aliquid haeret – es bleibt immer etwas hängen. Die Behörden erklären auf Nachfrage, bislang werde niemand allein wegen einer AfD-Mitgliedschaft beobachtet. Nur dann, wenn Extremisten in die AfD und andere Parteien hineinwirkten und diese rechtsextremistisch beeinflußten.

Warum ist die Drohung mit dem Verfassungsschutz politisch so brisant? Für alle diejenigen, die als Beamte für das Land oder den Bund arbeiten – wie Lehrer, Polizisten, Soldaten – ist dies ein Alarmsignal. Denn sie geraten unweigerlich beruflich in Bedrängnis, wenn sie Mitglied oder gar Funktionär einer Partei sind, die der Verfassungsschutz beobachtet oder wegen des Verdachts auf extremistische Bestrebungen in seinen Jahresberichten erwähnt. In der Vergangenheit wurde auch bewertet, ob ein Staatsbediensteter rechtzeitig den Absprung schaffte. Deshalb hat bereits die reine Debatte über die Prüfung einer eventuellen Beobachtung durch den Verfassungsschutz eine präventive abschreckende Wirkung. 

In der AfD kursiert schon länger die These von der „Republikanerfalle“, in die die junge Partei geraten könnte. Viele scheinen gemeint zu haben, die AfD sei unter völlig anderen Bedingungen gestartet und himmelweit vom Schicksal jener rechtskonservativen Partei entfernt, die es Ende der achziger und in den neunziger Jahren auf Landesebene nur in Berlin und Baden-Württemberg in die Landtage und einmal in das Europaparlament schaffte und zermürbt von wiederholten Spaltungen und einem jahrelangen Abwehrkampf gegen die Verfassungsschutzbeobachtung schließlich in der Bedeutungslosigkeit versank.

Doch es gibt durchaus Parallelen. Als die Republikaner im Januar 1989 mit 7,5 Prozent in das Berliner Abgeordnetenhaus und im Juni des gleichen Jahres mit 7,1 Prozent in das EU-Parlament einzogen, sah sich die Union unter einem ähnlichen Druck wie heute angesichts des Erfolgs der AfD. Zweifellos positionierten sich die Republikaner unter ihrem Vorsitzenden Franz Schönhuber „rechter“ als es die AfD bis heute tut. Dennoch wurden sie zunächst auch als konservativ oder „rechtskonservativ“ verortet. Mit wachsendem Erfolg setzte rasch die Spekulation über tatsächliche oder vermeintliche „verfassungsfeindliche Umtriebe“ bei den Republikanern ein. Obwohl die Partei erst 1992 im Verfassungsschutzbericht des Bundes erwähnt wurde, wirkte der Druck schon vorher.

Bei den Republikanern befeuerte dies den Streit, wie weit die Partei sich nach rechts abgrenzen solle. Es zeigte sich damals, daß unter dem Druck der Verfassungsschutzdrohung neben dem einsetzenden Aderlaß von Beamten, auch andere privatwirtschaftlich beruflich exponierte Mitglieder die Partei verließen und sich so arithmetisch das Gewicht des rechten Flügels in einer selbsterfüllenden Prophezeiung immer mehr erhöhte.

Auch die AfD hat bislang in erster Linie auf dem gemäßigten Flügel verloren: Am gewichtigsten war 2015 der Abgang der Gruppe um den Co-Bundessprecher Bernd Lucke. Es gab keine relevanten Abspaltungen auf dem rechten Flügel. Den aus dem Ruder gelaufenen Landesverband Saarland bekommt die Parteispitze nicht unter Kontrolle, der wochenlang verschleppte Fall des antisemitischen Abgeordneten Gedeon offenbarte zuletzt eine gravierende Führungskrise. Insofern steht die Partei vor der Gefahr, daß sich ihre Trimmung immer weiter verschiebt.

Bei den Republikanern gab es, nachdem die Verfassungsschutzämter mit der Beobachtung begonnen hatten, immer lauter werdende Stimmen, die danach riefen „Patrioten an einen Tisch“, „Distanzeritis beenden“ – es wurde Solidarität und „Einheit der ganzen Rechten“ gefordert. Am Schluß gab es unter Schönhuber Verhandlungen mit der rechtsnationalen DVU. Damit hatte man die Republikaner in der radikalen Ecke, in die man sie jahrelang hineingeschrieben hatte.

Die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes als „Etabliertenschutz“ ist ein Skandal. Die AfD kann den Mißbrauch nicht scharf genug verurteilen. Zumal der Verfassungsschutz bei seiner eigentlichen Aufgabe, tatsächliche gewalttätige Extremisten jeder Couleur aufzuklären, wiederholt jämmerlich versagt hat. Bei der notwendigen Präzisierung ihres Kurses und der Auseinandersetzung mit der Verfassungsschutz-Drohung hilft es der AfD nichts, sich rein taktisch-oberflächlich und formalistisch von einzelnen Organisationen und Personen abzugrenzen. Sie muß aus sich selbst heraus positiv bestimmen, wofür sie steht – und wofür nicht. 

Die Partei startete im Zusammenhang mit der Euro-Rettung und einer völlig außer Kontrolle laufenden Asylkrise als Verteidigerin der demokratischen Mitwirkung, der Rechtsstaatlichkeit, ihr größter Erfolg war eine ansteigende Wahlbeteiligung – allein weil es in zentralen politischen Fragen endlich eine tatsächliche Alternative gab. Sie speiste sich durch den Protest von Bürgern aus der politischen Mitte. Die AfD jetzt zu Verfassungsfeinden zu stempeln ist deshalb ein Treppenwitz.