© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Keiner will einen neuen Kalten Krieg
Nato-Gipfel in Warschau: Das Bündnis setzt auf Abschreckung, will Moskau aber nicht brüskieren
Michael Link

Vier Bataillone mit jeweils tausend Soldaten sollen nach Polen und in das Baltikum verlegt werden. Kanada, Großbritannien, die USA und Deutschland übernehmen die Führung der vier Bataillone. 

Darüber hinaus soll die bereits auf dem Gipfel in Wales vor zwei Jahren beschlossene Schnelle Eingreiftruppe  (5.000 Soldaten), die innerhalb von 48 Stunden verlegbar sein soll, aktiviert werden. Insgesamt wollen die Nato-Partner in ganz Osteuropa „gemischte Truppen“ aufbauen und die Reaktionskräfte auf bis zu 40.000 Soldaten verdoppeln.

Mit einem Aufrüstungsplan in Osteuropa und einer Abschreckungsstrategie gegenüber Rußland präsentierte sich die Nato auf ihrem Gipfel in Warschau. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte in diesem Zusammenhang vor russischen Expansionsplänen: „Rußland versucht mit militärischen Mitteln, einen Einflußbereich aufzubauen.“ Derzeit, so der Norweger, beobachte das Nato-Bündnis eine massive russische Aufrüstung an der eigenen Grenze von der Antarktis, dem Baltikum, dem Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer.Überdies modernisiere Rußland sein nukleares Arsenal und rücke dieses näher an Europa.

Doch einen „neuen Kalten Krieg wolle niemand unter den Bündnispartnern, betonte Stoltenberg. Die Truppenstationierung im Osten sei nur eine „angemessene Reaktion auf Rußlands aggressive Handlungen“, erklärte der Nato-Chef. Und überhaupt wolle das Bündnis seinen Partnern zeigen, daß es da sei, wenn man es brauche und potenziellen Angreifern zeigen, daß es reagiere, wenn sie es bedroht.

In diesem Zusammenhang hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits vor dem Gipfel die Abwehr „hybrider Bedrohungen“, also „Szenarien ähnlich denen, die Rußland auch in der Ukraine eingesetzt“ habe, ausdrücklich mit in die neue Nato-Strategie einbezogen.

Doch trotz der Truppenverstärkung in Osteuropa und trotz der beschlossenen Ausweitung der Militärhilfe für die Ukraine sei das Bündnis für einen „konstruktiven Dialog mit Rußland. Wir wollen alle Mißverständnisse klären und das Risiko von militärischen Zwischenfällen reduzieren, die außer Kontrolle geraten können“, erklärte Stoltenberg in Richtung Moskau.

Während der auf dem Nato-Gipfel anwesende ukrainische Präsident Petro Poroschenko sich für die „transatlantische Solidarität“ bedankte, warf der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko  dem Militärbündnis „eine konfrontative Agenda“ vor. „Jeder muß verstehen, daß Rußland auf die Verlegung zusätzlicher Truppen nur militärisch antworten könne“, sagte Gruschko gegenüber der russischen Zeitung Kommersant. Moskau kündigte an, die Verstärkung der Nato-Kräfte in Osteuropa mit der Verlegung von drei Divisionen in seine westlichen Militärbezirke zu beantworten.

Die Nato verfolgt stets die „Doppelstrategie von Abschreckung einerseits und Dialog andererseits“, resümierte  der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp diese Haltung. Die Sicherheit vor Rußland und die Zusammenarbeit mit Rußland seien keine Gegensätze, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille. 

Brexit könnte verstärkte Anstrengungen behindern

Dennoch ließ vor allem Barack Oba-ma keine Zweifel an der Haltung der Vereinigten Staaten aufkommen. Das Transatlantische Bündnis, so der US-Präsident, befinde sich angesichts von Terrorismus, Migrationsströmen und einem „agressiven Rußland“ gerade in einer „Schlüsselphase“. Doch in „guten wie in schlechten Zeiten“ könne Europa auf die USA zählen. Dazu sei es allerdings nötig, daß auch die Nato-Partner ihre Verteidigungsetats signifikant erhöhten. 

Ein besonderes Anliegen Obamas war zudem zu betonen, daß der Brexit nicht dazu führen dürfe, daß die transatlantische Verteidigungsallianz geschwächt werde. Der angekündigte Austritt Großbritanniens aus der EU werde für den Warschauer Gipfel keine unmittelbaren Folgen haben, allerdings müsse man sich auf langfristige Auswirkungen für die Nato einstellen, vermutet dann auch Karl-Heinz Kamp: „Die Auseinandersetzungen über den ‘Brexit’ werden auf allen Seiten sehr viel Zeit und politische Energie verschlingen.“

Energie, die dem Bündnis an anderer Stelle fehlen könnte. Denn erstmals legte die Nato auch Operationen gegen Terrorgruppen und Schlepper fest. An der Südgrenze im Mittelmeer sollen die militärische Präsenz und die Luftüberwachung zur Eindämmung der Migrationsströme ausgeweitet werden. Zudem soll angesichts der sich dramatisch verschlechternden Sicherheitslage am Hindukusch eine Fortsetzung ihres Einsatzes in Afghanistan beschlossen sowie durch Aufklärungsflüge eine stärkere Unterstützung für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) bereitgestellt werden.