© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Das Kreuz auf der Brust
Religion: Kirchenführer sehen zwischen Christen und Moslems mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede
Konrad Adam

Die Kirche ist alt, aber auch sie geht mit der Zeit. Deswegen sprechen ihre progressiven Vertreter gern von dem Ersten, nicht mehr vom Alten Testament, und nennen das nächste Buch lieber das Zweite als das Neue Testament. Das klingt neutral, bescheiden, anspruchslos, läßt den Verdacht, das eine Buch über das andere zu stellen, gar nicht erst aufkommen, dafür aber Raum für die Entwicklung von irgend etwas Höherem, einem übergreifenden Konsens, einem umfassenderen Bund, einem Weltethos, für das Hans Küng mit seinem gleichnamigen Buch ja auch schon die Projektbeschreibung geliefert hat. Die globalisierte Ökonomie verlangt nach einer globalisierten Ökumene, nach irgendeinem Dritten Testament.

Die Sehnsucht nach diesem Dritten stößt allerdings auf ein Hindernis, auf den Islam, genauer: auf zwei ganz verschiedene Varianten dieser weltumspannenden Religion. Das macht die Rede von „dem“ Islam so unklar und so heikel und läßt Christian Wulffs gloriose Behauptung, „der“ Islam gehöre zu Deutschland, als ziemlich naiv erscheinen. Wen meinte er? Wohl kaum die Islamisten, Salafisten, Terroristen, die ihren mörderischen Glauben mit Hilfe von Sprenggürteln und Maschinengewehren vor aller Welt bekennen, vielmehr den sogenannten Euro-Islam, der unsere westlich definierten Werte wenn schon nicht übernehmen, so immerhin doch dulden will und nicht mehr sein möchte als eine Religion unter vielen.

Das klingt erfreulich – aber auch wenig aussichtsreich. Denn während der Euro-Islam ein Wechsel auf die Zukunft bleibt, erweist sich der blutige, intolerante und rachsüchtige Salafismus als überaus lebendig.

Der Islam ist Schrift-und Schwertreligion

Wer den Topkapi-Palast in Instanbul, die Residenz der türkischen Sultane, durchwandert, betritt am Ende einen Raum, in dem die Symbole zu sehen sind, auf die der Sultan seinen Anspruch gründete, Nachfolger des Propheten in seiner Doppelrolle als Inhaber der geistlichen und der weltlichen Macht zu sein. Man sieht dort drei lange, breite Schwerter, das Vermächtnis Mohammeds und seiner Erben. Wie dieses Erbe zu verwalten ist, lehrt der Koran, indem er die Gläubigen dazu anhält, den Ungläubigen – und das sind neben Juden auch die Christen – den Hals abzuschneiden, die Finger abzuhacken und bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen. Der Islam ist eben beides, Schrift- und Schwertreligion: die Schrift schreibt vor, wie das Schwert zu gebrauchen ist.

Das Christentum versteht sich ebenfalls als Schrift-, allerdings nicht als  Schwertreligion: kein ganz geringer Unterschied. Im Gegenteil rät Christus in Gethsemane, das Schwert in die Scheide zu stecken, denn wer das Schwert ziehe, werde durch das Schwert umkommen.

Der Vergleich zwischen der einen und der anderen Schrift ist überaus lehrreich, offenbar aber nichts für Rainer Maria Woelki, den Kardinalerzbischof von Köln. Denn Woelki hat nicht den Koran, sondern das Parteiprogramm der AfD mit dem Neuen Testament verglichen. Er ist dabei zu Ergebnissen gekommen, über die er zwar nichts mitteilt, die aber so verheerend gewesen sein müssen, daß er seinen Gläubigen ziemlich unumwunden dazu rät, alles Mögliche, nur nicht die AfD zu wählen.

Enger verbunden fühlt Woelki sich einer Religion, die von den westlich genannten Werten nicht viel hält. Die den weltanschaulich neutralen Staat nicht vorsieht. Die von den angeborenen Menschenrechten nichts weiß. Die den Glaubenswechsel mit dem Tode bestraft. Die den Mord an Ungläubigen als ein gottgefälliges Werk anpreist und dem Mörder das Paradies verspricht. Die Frauen als minderwertige Wesen betrachtet, deren Zeugnis vor Gericht nur halb soviel wert ist wie das eines Mannes. Die auf die grundgesetzlich garantierte Trennung von gesetzgebender, vollziehender und rechtsprechender Gewalt pfeift und ihren geistlichen Machthabern erlaubt, Kritiker des Propheten für vogelfrei zu erklären.

Was das bedeutet, wissen wir seit Salman Rushdies „Satanischen Versen“ und  der berüchtigten Fatwa, die irgendein Imam gegen den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard erlassen hat, etwas genauer. Begründet wird diese Scharia-Justiz mit der Behauptung, der Übeltäter habe den Koran oder den Propheten beleidigt; und darauf steht nun einmal die Todesstrafe. Menschenfreundliche Kardinäle und tolerante Bischöfe, großmütige Präsides und liberale Kirchenpräsidenten nehmen das aber nicht so ernst. Ungeachtet aller satanischen und sonstigen Verse halten sie daran fest, daß es zwischen Christen und Moslems mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gebe. Nur bei der AfD ist es umgekehrt, da überwiegen die Unterscheide die Gemeinsamkeiten.

Für die AfD gehört der Islam nicht zu Deutschland

Stein des Anstoßes ist ihre Aussage, daß der Islam nicht zu Deutschland gehört. Gemeint ist der Islam in jenen Formen, in denen er weltweit, unübersehbar, Tag für Tag, in Bagdad und Paris, in Boston, Köln und Sydney in Erscheinung tritt und uns an das erinnert, was der Koran von einem wahrhaft Gläubigen verlangt. Angesichts dieser authentischen Belehrung glaubt sich die AfD im Einklang mit dem Grundgesetz, wenn sie das Recht auf freie Religionsausübung nur solchen Bekenntnissen zugestehen möchte, die darauf verzichten, ihren Glauben für allgemeinverbindlich zu erklären. Sie hält sich an die alte Regel, nach der man alles tolerieren kann, nur nicht die Intoleranz.

Die Kirchenfürsten sind da anderer Ansicht. Ihr Verständnis ist groß, die Offenheit kennt keine Grenzen, ihr weites Herz schließt alles ein – nur nicht die AfD. Eine Hamburger Gemeinde hat für einen dieser Gotteskrieger, der im Kampf gegen Juden und Schiiten, Christen und Jesiden den Tod gefunden hatte, einen Gedenkgottesdienst zelebriert, mit Kerzen, Blumen und einem großen Bild des Terroristen vor einem rot betuchten Katafalk. Wenn irgendwo ein Flüchtlingsheim in Flammen steht, setzt Heinrich Bedford-Strohm, der EKD-Präsident, sich an die Spitze eines Schweigemarschs, der gegen fremdenfeindliche Gewalt demonstriert. Er tut das auch dann, wenn die Gewalt nicht von den Fremdenfeinden, sondern von den Fremden selbst ausgegangen war und es Flüchtlinge, Schutzbefohlene, in Not geratene Menschen waren, die da gezündelt hatten. Wer das Kreuz auf der Brust und nicht auf dem Rücken trägt, ist über so geringe Unterscheide offenbar erhaben.

Käßmann will Terroristen mit Liebe begegnen

Margot Käßmann, ehemalige Landesbischöfin und derzeit Botschafterin der Evangelischen Kirche im Luther-Jahr, ist das auch. Sie will mit der Gewaltlosigkeit Ernst machen und empfiehlt, Attentätern und Terroristen mit Liebe und Gebet entgegenzutreten. Die frühere EKD-Ratsvorsitzende beruft sich auf die Bergpredigt, die rät, dem Feind, der einem auf die rechte Backe geschlagen hat, auch noch die linke hinzuhalten: eine Zumutung, eine „Ethik der Würdelosigkeit“, wie der Soziologe Max Weber das genannt hat. Ein anderer, ebenso kluger Mann – und überdies ein Mann der Kirche – hat dieser Zumutung Ausdruck verliehen, als er auf die Frage, ob er denn tatsächlich dazu bereit wäre, auch noch die anderen Backe hinzuhalten, die Antwort gab: Er wisse wohl, was er tun müsse, aber nicht, was er tun würde.

Wer weiß das schon?

Die Aufforderung zur bedingungslosen Liebe, wie sie die Bergpredigt verkündet, ist ja vor allem deshalb eine Zumutung, weil es nur einen Weg gibt, sie glaubwürdig zu vertreten: durch das Beispiel, das eigene Beispiel. Vor dieser Zumutung ist Margot Käßmann aber ziemlich sicher. Da sie den Schutz eines immer noch halbwegs intakten Staates genießt, wird sie das Beispiel, das ihrem empörenden, dem Ehrbegriff, der Eigenliebe und dem Selbstbewußtsein stracks zuwiderlaufenden Ratschlag den Stempel der Glaubwürdigkeit aufdrücken würde, wahrscheinlich – und hoffentlich! – niemals geben müssen. Und eben das macht ihren Rat so dubios.

In einem sicheren Land läßt sich von der Kanzel herab gut predigen. Dort, wo das Wort durch die Tat beglaubigt werden müßte, klingt so eine Predigt aber ganz anders. In einer zerrissenen, von Terror und Gewalt gezeichneten Welt läuft die Empfehlung, dem Gotteskriegertum mit Liebe und Gebet zu begegnen, darauf hinaus, von anderen das zu erwarten, was man selbst nicht leisten kann, will oder muß. Die Alte Kirche wußte schon, warum sie das Martyrium zwar immerzu bewundert, aber nie empfohlen und ohne Not auch nicht gefordert hat. Denn das Martyrium, um hier noch einmal Weber zu zitieren, ist eine ernste Sache, mit der nicht zu spaßen ist. Ob Margot Käßmann das auch noch weiß?






Dr. Konrad Adam, Jahrgang 1942, war zwei Jahrzehnte lang Feuilletonredakteur der FAZ und danach bis 2007 Chefkorrespondent der Welt. 2013 gehörte er zu den Mitbegründern der Alternative für Deutschland (AfD).