© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

„Windige Träume zerstören Lebensräume“
Der Widerstand gegen die immer höheren Windkraftanlagen wächst und spaltet die Ökoszene
Christoph Keller

Im Juni verkündete Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume, daß die Kieler „Küstenkoalition“ aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) den „Zubau“ der Windkraft fortan langsamer vorantreiben werde. Mit dieser Entscheidung stellte der Kinderbuchautor und grüne „Realo“ erneut unter Beweis, daß seine Energiepolitik den Wirklichkeitsbezug nicht vollständig verloren hat.

Freiwillig erfolgte diese Kurskorrektur des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein nicht. Wie schon 2015, als ihm erst ein Urteil des Schleswiger Oberverwaltungsgerichts ein zweijähriges Ausbaumoratorium für Windparks aufzwang, weil es die Regionalpläne der Kieler Regierung und damit die Ausweisung von Windeignungsgebieten für rechtsunwirksam erklärte.

Megalomanes Projekt Bürgerenergiepark

Da aber aufgrund von Ausnahmeentscheidungen und älterer Genehmigungen der Ausbau nicht gänzlich zu stoppen ist, provozierte Habecks Ziel, bis 2025 1,7 Prozent der Landesfläche mit Windrädern zu besetzen, um doppelt soviel Strom aus erneuerbarer Energie zu erzeugen wie Schleswig-Holstein verbraucht, weiterhin den Unmut vieler Bürger. Im Frühjahr massierte sich der Widerstand von Anwohnern und Naturschützern schließlich derart, daß Habeck abermals den Rückwärtsgang einlegte.

Der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, fiel im Dorf Loose, das unweit des bekannten Ostseebads Eckernförde liegt. Dort forciert die GmbH „Bürgerenergiepark Schlei-Ostsee“ ein megalomanes Projekt mit vier 150 Meter hohen Windkraftanlagen, für die bereits Fundamente gegossen und Schaltanlagen gebaut wurden. Damit konkretisierte sich die akute Bedrohung für dort beheimatete Turmfalken, Bussarde und Rohrweihen, vor allem aber für brütende Seeadlerpaare.

Angesichts dieser Zuspitzung gelang es den Vereinen Gegenwind Schleswig-Holstein und Seeadlerschutz Schlei, die schon seit langem zusammen mit protestierenden Anwohnern gegen die Looser „Riesenspargel“ mobil machen, die Unterstützung des schleswig-holsteinischen Landesverbandes des Naturschutzbundes (Nabu) zu gewinnen und die Aufmerksamkeit der Lokalpresse zu erregen. Unter der Parole „Windige Träume zerstören Lebensräume“ fand am 11. Juni eine Kundgebung auf dem Eckernförder Rathausmarkt regen Zulauf.

Durch diesen Rückhalt ermutigt, erstatteten die Seeadler-Schützer bei der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Rendsburg-Eckernförde wegen zahlreicher Verstöße gegen Umweltschutzauflagen Anzeige, so daß am 21. Juni ein sofortiger Baustopp für Loose verhängt wurde. Ein kleiner Etappensieg für die Natur- und Artenschützer, die sich immer schlagkräftiger zu organisieren beginnen gegen eine, wie es der Verein Gegenwind formuliert, als „Klimarettung“ deklarierte Politik, bei der es aber nur um die Rettung „planwirtschaftlicher Subventionen“ und um „Geld, Profit und egoistische Bereicherung“ gehe.

Ähnlich kämpferisch gibt sich in Hessen der Verein Vernunftkraft, der zusammen mit Betroffenen aus Nordfriesland eine Verfassungsbeschwerde gegen die von Windenergieanlagen verursachte Infraschall-Belastung einreichte. Als parlamentarischer Arm profiliert sich mittlerweile die FDP im hessischen Landtag, deren Abgeordneter René Rock von der CDU vorgeworfen wird, er stachle „die Bürger gegen die Energiewende auf“. Rock liegt im Dauerclinch mit der schwarz-grünen Wiesbadener Koalition, die er wegen ihrer „völlig aberwitzigen“, auf zwei Prozent des windarmen Hessen ausgreifenden Ausbaupläne attackiert.

Der Widerstand in Schleswig-Holstein und Hessen steht nicht allein. Seit 2011 haben sich, wie der Münchner Journalist Georg Etscheit vorrechnet (Natur, 5/16), in ganz Deutschland 600 Bürgerinitiativen gegen Windparks gebildet. In Mecklenburg-Vorpommern konstituierte sich im Februar sogar eine Anti-Windkraft-Partei („Freier Horizont“), die am 4. September in den Schweriner Landtag einziehen möchte.

Naturschutzinitiativen gegen weiteren Windkraftausbau

Für Etscheit zeugt dieser anschwellende Protestgesang nicht allein von der sozialen Sprengwirkung der inzwischen 26.000 Rotoren im Bundesgebiet, wo die Fronten Pro und Contra Windkraft sich in Regionen und Gemeinden verhärten. Auch innerhalb der beiden größten deutschen Umweltschutzverbände, dem Nabu und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), setzt die flächenfressende „Verspargelung“ ihr Spaltungspotential frei und verursacht erhebliche „Verwerfungen in der Ökoszene“.

In Rheinland-Pfalz gründete sich gerade eine neue „Naturschutzinitiative“ unter dem Vorsitz von Harry Neumann, der 2014 aus Protest gegen die rot-grüne Mainzer Windkraft-Pläne als BUND-Landeschef zurückgetreten war. In Bayern hob der Dirigent und BUND-Mitbegründer Enoch zu Guttenberg (CSU) 2015 den Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB) aus der Taufe, der dem von „Energiewende-Technokraten“ entfesselten „Vernichtungsfuror gegen unsere letzten Lebensräume, gegen unsere Heimat, gegen eben jene Natur, die uns einst Schutz und Identität bedeutete“, Paroli bieten soll.

Deren Stimmführer wiederum klagen über die zu zögerliche Windpolitik von Nabu und BUND. Deswegen, weil man zuviel Rücksicht auf „klassische“ Natur- und Artenschützer wie zu Guttenberg nehme, trat der Grüne Hans-Josef Fell, einer der Konstrukteure des Eneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), aus dem BUND aus. Auch der Nabu mußte sich von einem „Aktionsbündnis Artenschutz durch Erneuerbare“, ins Leben gerufen von Windkraftlobbyisten, per taz-Anzeige als „Energiewende-Verhinderer“ diffamieren lassen. Ausgelöst hatte die Polemik eine als „Kampfansage“ eingestufte Ankündigung des NRW-Nabu-Chefs Josef Tumbrinck, gegen Windparks weitere Artenschutzklagen einzureichen.

Für Etscheit, der für Herbst ein Buch mit dem Titel „Geopferte Landschaften – wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört“ ankündigt, gruppiert sich derzeit das deutsche Ökolager in dramatischer Weise um: Auf Windkraft eingeschworene Weltklimaschützer stehen gegen Arten- und Heimatschützer, global denkende Aktivisten gegen regional verwurzelte Naturfreunde alten Schlages, „Städter, die sich mittels Ökostromtarif ein grünes Gewissen kaufen“, gegen Landbewohner, die sich von Windparks umzingelt sehen und um das gewohnte Bild ihrer Heimat fürchten.

Eine Lageanalyse, für die Etscheit aus eigener Erfahrung schöpft: Der Zeit- und taz-Autor und Grünen-Mitgründer verließ im Dezember 2015 mit einer emotionalen Rede den BUND-Vorstand und den Vorstand der Münchner Kreisgruppe, um gegen die mit der Windkraftlobby eng verbandelten „selbsternannten Weltretter mit der höheren Moral“ ein Zeichen zu setzen.

Bürgerenergiepark Schlei-Ostsee:  amt-schlei-ostsee.de

Verein für Landschaftspflege & Artenschutz:  www.landschaft-artenschutz.de

Verein Gegenwind Schleswig-Holstein:  gegenwind-sh.de