© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/16 / 15. Juli 2016

Der Flaneur
Hintergründiger Schulfreund
Claus-M. Wolfschlag

Eine Verabredung zum Abendessen. Ich warte auf dem Gehweg an der roten Ampel. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich meinen Kumpel, sich mit einem Anzugträger unterhaltend. Doch kurz darauf geben sie sich die Hand, und der Anzugträger ist bereits um die Ecke verschwunden, als ich eintreffe. „Ein alter Freund?“ frage ich. „Mit dem bin ich zur Schule gegangen. Habe ihn Jahre nicht gesehen. Nun ist er hoch auf der Karriereleiter gestiegen, ist Geschäftsführer einer größeren Firma“, antwortet mein Kumpel.

„Dann war eure Schule ja offenbar nicht schlecht“, sage ich. Mein Kumpel beginnt zu grinsen: „Schulwissen hat doch nichts mit Erfolg in der heutigen Geschäftswelt zu tun. Da sind ganz andere Fähigkeiten gefragt.“ „Meine Rede“, sage ich.

„Mir fallen noch drei alte Anekdoten zu meinem Schulkollegen ein. Wirklich witzig.“

„Mir fallen noch drei alte Anekdoten zu meinem Schulkollegen ein. Wirklich witzig“, sagt mein Kumpel. „Anekdote 1: Im Geschichtsunterricht behandelten wir die Französische Revolution. Der Lehrer erzählte, wer alles durch ‘die Guillotine’ gestorben ist. Marie Antoinette, Robespierre und so weiter. Irgendwann fragt mein Kollege doch ernsthaft, was diese Frau Guillotine denn für eine irre Massenmörderin gewesen sei. Schließlich hätte sie ja Unmengen von Leuten umgebracht.“ Ich lache.

„Anekdote 2: Wir standen vor den Osterferien. Da fragte mich mein Kollege, wer eigentlich Karl Freitag gewesen sei. Ich fragte zurück, wie er auf den Namen komme. Na, sagte er, weil der Feiertag vor Ostern immer nach diesem Kerl benannt sei.“ Ich lache lauter.

„Anekdote 3: Mutter Teresa war Thema im Schulunterricht. Irgendwann rief mein Kollege, daß er gar nicht verstehe, weshalb diese Pornodarstellerin eigentlich den Friedensnobelpreis bekommen habe. Der meinte Teresa Orlowski.“ Ich bekomme einen Lachanfall.

Als ich mich beruhige, sind wir im Restaurant angelangt. „Migrationshintergrund?“ frage ich. „Ja“, nickt mein Kumpel. „Bildungshintergrund?“ „Nein“, antwortet er zwinkernd. „Finanzieller Hintergrund?“ „Oh ja“, antwortet er.