© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Wut und Entschlossenheit
Umfrage: Großer Wunsch nach harten Maßnahmen / Welle der Hilfsbereitschaft
Jürgen Liminski

Seit Freitag morgen berichten Frankreichs Medien ständig über das Drama von Nizza und seine Folgen. Selbst der gescheiterte Putsch in der Türkei kam nicht über Rang zwei in der Aktualität hinaus, erst recht nicht, als der IS sich des Anschlags von Nizza bezichtigte. Immer wieder wurden Telefonnummern der Krisenstäbe verkündet, eine Welle der Solidarität folgte dem Schock. Zeugen berichteten, andere suchten über Facebook Angehörige. Eine junge Mutter findet so ihr acht Monate altes Baby wieder, andere erfahren über Fernsehen und Radio, wie und wo sie ihre Familienangehörigen betreuen lassen können. Erstaunlich viele Psychologen kommen zu Wort. Viele Krankenhäuser, nicht nur in Nizza, bieten psychologische Notdienste an.

Die dritte Welle am Montag morgen bringt einen Schock für die Regierung. Zwei Drittel der Franzosen trauen ihr nicht mehr zu, der Gefahren Herr zu werden. Nach den Anschlägen im November waren es noch 50 Prozent. 99 Prozent halten die terroristische Gefahr für hoch oder sehr hoch, jeder zweite sagt: „Wir sind im Krieg.“ Im Dezember waren es 37 Prozent. Entsprechend ausgeprägt ist der Wunsch nach härteren Maßnahmen. Acht von zehn Franzosen sind bereit, individuelle Freiheitsrechte dafür einschränken zu lassen, selbst unter den Linkswählern sind es 73 Prozent. Wieder zwei Drittel sind dafür, die mehr als zehntausend terrorverdächtigen und auf der Liste S geführten Personen nicht nur zu beschatten, sondern vorübergehend hinter Gitter zu bringen, und 91 Prozent wollen ein Gesetz, mit dem „echt lebenslänglich“ verhängt werden kann, so daß Terroristen nicht nach spätestens 30 Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt werden können. Nicht wenige Bürger sind auch empört darüber, daß der Chefterrorist Abdeslam vom 13. November in seiner Isolationshaft über Telefon und Fernsehen verfügt, auch wenn er ständig überwacht und abgehört wird. Drei von vier Franzosen wünschen, daß Polizei und Geheimdienste mit mehr Vollmachten ausgestattet werden und daß die Richterschaft Verdächtige und Festgenommene nicht schon zwei Tage später wieder entlassen kann.

Diese vom Umfrageinstitut Ifop im Auftrag des Figaro erhobenen Daten zeigen einen Trend zu wesentlich mehr Härte und Entschlossenheit im Kampf gegen den islamistischen Terror an. So hoch waren die Zahlen selbst nach den Anschlägen des vergangenen Jahres nicht. Man glaubt den Parolen von Staatspräsident und Premier nicht mehr. Diese hatten die Einheit des Landes beschworen mit Worten wie: „Frankreich wird seiner Identität treu bleiben“, „Frankreich wird geeint dem Terror die Stirn bieten“, „Frankreich wird sich in diesem Krieg nicht destabilisieren lassen“. Es sind Worte, wie man sie aus dem vergangenen Jahr schon kennt. Drei Tage Staatstrauer zeigen symbolisch, wie tief das Land verwundet ist. Aber die Stimmung ist alles andere als resigniert. Wut und Entschlossenheit werden anhalten. Selten war den Franzosen so klar wie nach diesem 14. Juli: Es geht um Freiheit und Identität.