© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/16 / 22. Juli 2016

Griff ins Pokémonnaie
Nintendo: Der Erfolg von Pokémon treibt den Trend zum Computerspiel-Recycling auf die Spitze
Henning Hoffgaard

Zwei ratlose Männer* stehen in der Nähe der JF-Redaktion an einer Kreuzung und wedeln verzweifelt unter den Blicken irritierter Passanten auf ihren Smartphonebildschirmen herum. Kurz darauf stoßen noch drei Studenten dazu. Sie alle haben es auf etwas abgesehen, das in den vergangenen Jahren fast schon vergessen war: Pokémon. 

Die japanischen Kampfmonster feiern 20 Jahre nach ihrem Debüt als Game-Boy-Spiel ein weltweites Comeback. Und was für eines. Allein in den Vereinigten Staaten wurde die neue von Nintendo entwickelte App „Pokémon Go“ innerhalb weniger Tage nach der Veröffentlichung mehr als eine Million Mal heruntergeladen. 

Selbst das beliebte Dating- und Seitensprungportal „Tinder“ konnte da nicht mithalten. Mittlerweile liegt „Pokémon Go“ in fast allen Ländern auf Platz eins der Download-Ranglisten. Doch warum laden sich so viele Nutzer eine App herunter, in der sie 150 kleine japanische Kampfmonster finden, trainieren und später in Kämpfen antreten lassen? Die kurze Antwort lautet: Weil es Spaß macht. 

Das Spielprinzip ist einfach. Sobald die App installiert wurde, schlüpft der Spieler in die Rolle eines Pokémon-Trainers. Auf einer realistischen virtuellen Karte tauchen dann immer wieder verschiedene Monster auf, die je nach Stärke entweder sofort gefangen werden können, oder die zuvor mit eigenen Pokémon besiegt werden müssen. 

Zudem findet der Nutzer von Zeit zu Zeit auch Eier, aus denen weitere Monster schlüpfen. Je mehr Kreaturen der Spieler besitzt oder besiegt, desto höher ist sein Level und neue Pokémon können gefangen werden. Werden die dann richtig gepflegt, entwickeln sie sich weiter. Hinzu kommen zahlreiche über die Welt verteilte „Pokéstops“, an denen nützliche Gegenstände versteckt sind. 

Der Clou: Diese Punkte sind an real existierende Orte, Denkmäler oder Häuser gebunden. Das Spiel schafft es meisterhaft, Virtualität und Realität zu verknüpfen. Kommt der Spieler einem der Monster zu nahe oder will es fangen, wird von der Übersichtskarte auf die Handykamera umgeschaltet. Das Pokémon wird dann hineinprojiziert. 

Es sieht dann fast so aus, als stehe die Figur direkt vor einem – natürlich nur auf dem Handybildschirm. Grundsätzlich belohnt die App Spieler, die besonders viel unterwegs und oft online sind. Sammeln, Kämpfen, Forschen kombiniert mit gewitzten Handyinteraktionen. 

Hysterische Kampagne als gerngesehene Begleitmusik

Das ist das Erfolgsrezept. Vor allem Jungs und Männer lassen sich so begeistern. Und Geld soll schließlich auch damit verdient werden. Im Spiel gibt es eine eigene Währung mit dem wenig kreativen Namen Pokémünzen. Die gibt es allerdings nur gegen echtes Geld. Die Preise sind hoch. 100 Pokemünzen, mit denen nicht viel gekauft werden kann, für 99 Cent. 

Oder gleich 14.500 für 99,99 Euro. Für das Grundspiel wird das Geld nicht benötigt. Aber es spart viel Zeit und verschafft einige Vorteile. 14 Millionen Euro kassierte Nintendo innerhalb der ersten Tage, in denen die App nur in den USA und zwei weiteren Ländern verfügbar war. Klingt bei einem Jahresumsatz von rund 4,5 Milliarden Euro nicht viel. 

Und ist es auch nicht. Viel lukrativer für den japanischen Konzern ist, daß der Pokémon-Hype wiederbelebt wurde. Fanartikel, Filme, eine seit Jahren laufende Serie sind die eigentlichen Geldbringer. Sie werden voraussichtlich enorm profitieren. Zudem gewinnt der Konzern so auch wieder neue Anhänger. 

Nintendo war es in den vergangenen Jahren nach der Hochzeit um das Jahr 1998 nicht mehr so recht gelungen, die nachrückenden Jahrgänge für Pokémon zu begeistern. Das wird sich nun ändern und finanziell auszahlen. 

Begleitet wird der Erfolg von „Pokémon Go“ derzeit von einer fast schon hysterischen Kampagne selbsternannter „Suchtexperten“, die eindringlich davor warnen, das Spiel könne abhängig machen. Daß Menschen besonders gerne Dinge tun, die ihnen Spaß machen, ist allerdings keine Neuigkeit und auch keine Gefahr. Jeder Nutzer muß selbst entscheiden, wieviel Geld und Zeit er investiert. Eltern sollten jedoch darauf achten, daß ihre Kinder keine Kreditkarten mit dem Handy verknüpft haben. 

Dagegen sollte die ADAC-Warnung, durch das ständige Starren auf den Bildschirm bei der Suche nach neuen Pokémon steige die Unfallgefahr, ernstgenommen werden. Aus den Vereinigten Staaten gibt es bereits Berichte, daß Autofahrer mitten auf Straßen gewendet hätten, um eine der Kreaturen zu verfolgen. Besonders Grundschüler verlieren schnell ihre Umgebung aus dem Blick. 

Der ADAC rät Eltern deswegen, mit den Kindern zusammen zu spielen und dabei auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Auch die Berliner Polizei warnt: „Es besteht die große Gefahr, daß man die Umwelt (vor allem den Straßenverkehr) leicht aus den Augen verliert. Gerade in einer Großstadt wie Berlin kann das sehr schnell sehr gefährlich werden.“ Beendet hat die Polizei die Warnung mit den Worten: „So und nun schnappt sie euch.“