© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

„Eine apokalyptische Stimmung“
Deutschland hat ein Horrorwochenende erlebt. Die Politik ist daran nicht unschuldig, kritisiert der bekannte Publizist Matthias Matussek
Moritz Schwarz

Herr Matussek, hinter dem Schock von München geht der Fall Ansbach fast unter.    

Matthias Matussek: Dabei gab es dort 15 Verletzte, vier davon schwer. Man stelle sich vor, der Täter wäre nicht abgewiesen worden, hätte die Bombe auf dem Konzertgelände gezündet – die Katastrophe wäre perfekt gewesen.

München, Reutlingen, Ansbach – eigentlich haben die Taten vom Wochenende doch nichts miteinander zu tun ...

Matussek: ... dennoch erzeugen sie eine Art fast apokalyptischer Stimmung. 

Ist diese ein psychologischer Fehlschluß oder macht sie sichtbar, daß etwas nicht stimmt?   

Matussek: Ich stehe zu meiner Kritik – die mir letztlich auch meine Kündigung beim Springer-Verlag eingebracht hat –, daß man sich angesichts von über 400.000 unregistrierten jungen moslemischen Männern im Land Sorgen machen muß. Ist es nicht auffällig, daß alle Attentäter vom Wochenende Moslems waren? Selbst die mutmaßlich unpolitischen von München und Reutlingen.

Ist es dann legitim, diese da einzureihen? Amoktaten etwa haben doch nichts mit Islam oder Zuwanderung zu tun.

Matussek: Es ist richtig, daß Sie versuchen zu differenzieren. Wir Menschen neigen dazu, einzuordnen und Kategorien zu bilden. Da muß man aufpassen, nichts unrechtmäßig zu vermengen. Ich halte es allerdings nicht für ausgeschlossen, daß die Fälle vom Wochenende auch etwas mit Entwurzelung zu tun haben. Viele der Menschen, die zu uns kommen, haben zwar ihre Heimat verloren, haben aber weiter das eherne Sittengesetz im Kopf, das sie dort erlernt haben. Etliche von ihnen reagieren auf westlichen Liberalismus mit Aggression.

Das könnte im Fall München möglicherweise zutreffen, denn ein Freund des Täters berichtet von dessen Hass etwa auf das Gewaltopfer Tugçe Albayrak, die 2014 in Offenbach ihren Einsatz gegen die Belästigung von Mädchen durch moslemische Jungs mit dem Leben bezahlt hat. 

Matussek: Gleichwohl ist das im Einzelfall zunächst immer nur eine Vermutung. Und ich bin nicht etwa darauf aus, „München“ dem Islam in die Schuhe zu schieben. Ich denke aber schon, daß Einwanderung in etlichen Fällen eine Rolle spielt, denn sie produziert – neben erfolgreichen Integrationsgeschichten – auch unzählige Biographien, bei denen sich Menschen weder in ihrer alten Heimat noch in ihrer neuen, hier, zu Hause fühlen. Und ein Identitätsproblem scheint der München-Täter durchaus gehabt zu haben. Interessant ist allerdings auch die Reaktion unserer Gesellschaft.

Inwiefern?

Matussek: Ein einzelner Schüler hat es geschafft, eine der größten deutschen Städte lahmzulegen, den Staat und das Land in Angst und Schrecken zu versetzen – sogar der US-Präsident hat sich zu seiner Tat geäußert. Die Leute haben der Polizei den Eindruck vermittelt, es handele sich um „drei Täter“ mit „Langwaffen“, und schließlich haben sie weitere Angriffe, Schüsse vom Marienplatz und Stachus, gemeldet – selbst der Chefredakteur der AZ meinte, diese gehört zu haben. Das zeigt, wie es um unsere Gesellschaft wirklich bestellt ist, wie sie bis zu den Nervenenden gereizt ist. Weil alle Angst davor hatten, es könnte ein islamistischer Terroranschlag sein. 

Da klingt die Mahnung, Zuwanderung sei per se Bereicherung, in der Tat hohl.

Matussek: Eben. Da sieht man, wie enerviert die Situation, wie wundgescheuert das Empfinden der Gesellschaft in dieser Hinsicht in Wirklichkeit ist.  

Aber kann man tatsächlich von Einwanderung als einer Ursache des Terrors sprechen? Denn richtig ist doch, daß die meisten Einwanderer nicht kriminell sind. 

Matussek: Kein Zweifel. Aber es ist eben keinem an der Grenze anzusehen, ob er zu der überwiegenden Zahl friedlicher Einwanderer gehört oder künftiger Gewalttäter ist. In der Einwanderungsrealität kann man die einen von den anderen nicht trennen. Vor allem nicht bei einer unkontrollierten Massenzuwanderung, wie sie Frau Merkel im letzten Jahr zugelassen hat.

Frau Merkel argumentiert bekanntlich moralisch mit dem Gegenteil. 

Matussek: Es tut mir leid, aber ich kann da nichts Moralisches erkennen. Im Gegenteil, mir erscheint unsere Methode – quasi ein Stück „Speck“ hochzuhalten und zu vermitteln, wer als erster da ist, der darf bleiben – für roh, unzivilisatorisch und darwinistisch. Ganz bestimmt ist es moralischer, jeden Anreiz für illegale Einwanderung zu tilgen und damit den Zuwandererstrom möglichst zum Erliegen zu bringen. Und wer kommen will, der kann den legalen Weg gehen. Ja, ich meine, da haben sogar die Linksradikalen eher recht, wenn sie sagen, angesichts von Merkels Politik müßte man die Leute mit Schiffen und Flugzeugen direkt zu Hause abholen, statt sie dazu zu verführen, sich Schleppern anzuvertrauen und in Schlauchbooten aufs Mittelmeer zu wagen, wo sie reihenweise ertrinken.     

Aber sind Terrorgefahr und Fundamentalismus wirklich nur ein Problem der Politik Merkels vom Sommer 2015? 

Matussek: Nein. Ich kann da nur den Schriftsteller Imad Karim zitieren, der vor zwanzig Jahren in Berlin war und heute sagt, er könne sein Berlin-Neukölln nicht wiedererkennen. Inzwischen liefen die Frauen dort verschleiert herum. Der Fundamentalismus sei im Straßenbild sichtbar geworden – bis hin zum Dönerbudenbesitzer, der damals in der Tat noch Teil einer multikulturellen Fröhlichkeit war. Heute dagegen sei die Gegend von einer Grimmigkeit erfüllt, die die Politisch-Korrekten einfach nicht wahrnehmen wollten. Ich glaube, daß da die große Gefahr für uns liegt! Doch statt dessen beschäftigt man sich ja lieber mit der Durchsuchung des Internets nach sogenannter Hatespeech.

Allerdings ist es mit einer Stimmung tatsächlich eine gefährliche Sache. Denn natürlich ist es nicht weniger angenehm und gefährlich, wenn die doktrinäre und denunziatorische „Refugees welcome“-Stimmung in eine pauschale „Einwanderer sind alle ein Problem“-Stimmung kippt. Erfahrungsgemäß differenzieren die meisten Leute nicht – und jede Stimmung droht rasch in einer uniformen Bedrückung zu enden. Heute ist „der Rechte“ der Staatsfeind, morgen vielleicht „der Ausländer“.  

Matussek: Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, und ich kann nur hoffen, daß wir alle in Zukunft sorgfältiger miteinander umgehen. Wir erleben es ja derzeit selbst, was eine solche Stimmung bedeutet. Es ist doch zum Beispiel klar, was ich zu gewärtigen habe, wenn ich Ihnen dieses Interview gebe; wie das gegen mich verwendet werden wird! 

Warum tun Sie es dennoch?

Matussek: Weil ich an Ihrer Zeitung nichts Radikales entdecken kann, im Gegenteil! Ja, ich glaube sogar sicher, daß Ihr Chefredakteur Dieter Stein ein überzeugter Antifaschist ist – ebenso wie wohl die meisten, die für sie schreiben. Aber auch wenn Sie zu Recht davor warnen, das Pendel dürfe auch nicht in die andere Richtung ausschlagen. Ich meine, ein begründetes Unwohlsein an unseren Zuständen, eine begründete Sehnsucht nach Verwurzelung, Heimat und Verankerung ist im Land sehr präsent. Von den meisten Medien und der Politik wird das unterschätzt. Immer mehr Bindungen aber lösen sich auf oder werden gar zerschlagen – Glaube, Familie, Nation. Die einzige politische Kraft, die das aufgreift, ist die AfD – was einen Teil ihres Erfolges ausmacht. Auch wenn es dort sicher einige gibt, die das wiederum übertreiben – wie etwa dieser Björn Höcke, der 75 Jahre zurück will. 

Höcke will nicht 75 Jahre zurück – eher tausend. 

Matussek: Ins fromme Mittelalter? Ins 13. Jahrhundert jederzeit, da bin ich dabei! Natürlich aber nicht als Leibeigener! Vielleicht treffe ich Thomas von Aquin oder Franziskus, das Original! Spaß beiseite – auch das ist Teil des Problems: Daß mit der moslemischen Einwanderung viele Menschen in eine Welt eintreten, in der Transzendenz überhaupt keine Rolle mehr spielt. In der jeder – aus ihrer Sicht – leben kann, wie ein Schwein. Das führt bei ihnen vielfach zu Irritationen, oft auch zu Überheblichkeit. Und mancher sagt sich sogar: Die leben wie Schweine, also kann man sie auch so abstechen! Ja, die das sogar als gottgefällig ansehen. Daß wir dagegen keine überzeugende Glaubensidentität anbieten können – eine für die wir bereit sind, notfalls sogar zu sterben –, das ist nach meiner Ansicht die große Ungleichzeitigkeit von Orient und Okzident in unserer Zeit. 






Matthias Matussek, der Journalist und Schriftsteller, geboren 1954 in Münster, schrieb unter anderem für den Stern, Spiegel, die Welt und inzwischen für die Schweizer Weltwoche. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter „Die vaterlose Gesellschaft. Eine Polemik gegen die Abschaffung der Familie“, „Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können“ und „Das katholische Abenteuer. Eine Provokation“. Von 2003 bis 2007 war er Kulturchef des Spiegel, und in der ARD hatte er zeitweilig eine eigene Fernsehsendung („Matusseks Reisen“ und „Matussek trifft“). Der Schriftsteller Thomas Brussig machte ihn zur Hauptfigur seines Romans „Wie es leuchtet“.  

Fotos: München nach dem Schock: „Das zeigt, wie es um unsere Gesellschaft wirklich bestellt, wie sie bis zu den Nervenenden gereizt ist; Überwältigter Messer-Mörder von Reutlingen: „Viele, die zu uns kommen, haben weiter das eherne Sittengesetz ihrer Heimat im Kopf“