© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Amoklauf regt Politiker-Phantasien an
Nach dem Amoklauf von München diskutiert die Politik unter anderem über Bundeswehreinsätze, Waffenrecht und Einwanderung
Thorsten Brückner

Während am Sonntag noch immer drei Opfer der Amoktat von München um ihr Leben kämpften, diskutierten Spitzenpolitiker in Berlin bereits über die Verschärfung des Waffenrechts. Sportschützen und Jäger dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden, konterte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), einen Vorstoß von Innenminister Thomas de Maizière, der die Waffengesetze verschärfen will. 

Was die Amoktat im Olympia-Einkaufszentrum mit Jägern, Sportschützen und anderen rechtmäßigen Waffenbesitzern zu tun hatte, blieb im dunklen. Im dunklen Netz, dem sogenannten Darknet, hatte sich der 18 Jahre alte Deutsch-Iraner Ali Sonboly für seine Mordttat, der mindestens neun Menschen (darunter acht junge Leute im Alter zwischen 13 und 20 Jahren) zum Opfer fielen, eine 9mm-Glock besorgt. Natürlich illegal. 

Auf der anderen Seite machten sich islamkritische Politiker daran, die Tat zu instrumentalisieren. Beim Kurznachrichtendienst Twitter forderten viele Nutzer, Merkel müsse nun endlich die Grenzen schließen. Das Schweigen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich erst am Nachmittag nach den Schüssen äußerte, sorgte ebenfalls für Empörung. Selbst US-Präsident Barack Obama war schneller gewesen.Unter dem Hashtag #Merkelschweigt taten viele Nutzer ihren Unmut kund.

Unterdessen verdichten sich die Anhaltspunkte hinsichtlich des Tatmotivs. So war der Täter laut Medienberichten jahrelangem Mobbing durch vornehmlich türkisch- und arabischstämmige Mitschüler ausgesetzt gewesen. Auch soll er seine Opfer über ein getürktes Profil mit türkischem Mädchennamen bei Facebook in das McDonald’s-Restaurant gelockt haben. Auf einer Videoaufzeichnung, die Sonboly unmittelbar nach der Tat in einem Wortgefecht mit einem Anwohner zeigt, sind zudem die Worte „Scheiß Türken“ zu hören. Es ist allerdings unklar, ob sie von Sonboly oder einem weiteren Anwohner stammen. 

Klar vernehmbar rief Sonboly hingegen die Worte: „Ich bin Deutscher, ich bin hier geboren.“ Bei der Mehrzahl der Getöteten handelt es sich um junge Menschen zwischen 13 und 20 mit Migrationshintergrund. Drei der Opfer hatten ihre Wurzeln im Kosovo, drei in der Türkei. Dennoch schlossen die Behörden einen politischen Hintergrund aus. Seine Opfer suchte sich Sonboly offenbar nicht gezielt aus. Keiner seiner ihn angeblich mobbenden Mitschüler befand sich bei dem seit einem Jahr geplanten Amoklauf unter den Attackierten. In der Wohnung des Attentäters, die ein Spezialeinsatzkommando der Polizei noch in der Tatnacht stürmte, fanden die Ermittler Literatur über Amokläufe. 

Der Täter war angeblich jahrelang Mobbingopfer

Der depressive Täter soll nach Winnenden gefahren sein, um den Tatort des dortigen Amoklaufs von 2009 zu fotografieren. Der Tattag regt zudem zu Spekulationen über ein mögliches Vorbild Sonbolys an: Am 22. Juli 2011 ermordete der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik auf der Insel Utoya 77 Menschen. Daß es einem einzelnen Täter gelang, die bayerische Landeshauptstadt stundenlang lahmzulegen und selbst den öffentlichen Nahverkehr zum Erliegen zu bringen, sorgte noch am Montag für Diskussionen. 

Das gleiche gilt für einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bestätigt wurde. Demnach waren Feldjäger der Bundeswehr am Freitag in der Nähe von München in Gefechtsbereitschaft. Eine rechtliche Grauzone: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern erfordert einen Katastrophenfall. 

Eine Änderung des Grundgesetzes, die einen Einsatz im Innern erleichtern würde, scheiterte in den vergangenen Jahren wiederholt am Widerstand von SPD, Grünen, Linkspartei, aber auch der FDP. Scharfe Kritik an von der Leyens Plänen kam so auch erwartungsgemäß vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz. „Die Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr ist geschichtsvergessen. Sie können nicht den Krieg in die deutschen Innenstädte tragen“, sagte er dem RBB.

Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) äußerte sich ablehnend. Ursprünglich war die Polizei von bis zu drei Tätern ausgegangen, nachdem Augenzeugen zwei potentielle Angreifer mit Langwaffen gemeldet hatten. Später kam heraus: Bei den Männern handelte es sich um Polizisten in Zivil.