© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Qualität und Intensität richtig genießen
Craft Beer: Daß der traditionelle Biermarkt von Konzentration und Gleichförmigkeit geprägt ist, wollen Alternativbrauer nicht hinnehmen
Thomas Fasbender

Gaswerk Mariendorf, Berlin, Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Ortstermin. Die Industrie-brache, die an Startups und Investoren vermarktet wird, heißt „Am Marienpark“. Ein Euphemismus – weder von der Heiligen Jungfrau noch von einem Park ist etwas zu sehen. Wer sich jedoch in die Mitte des riesigen Areals begibt, findet eine Bierbrauerei, die an ihre eigene Zukunft glaubt. Eine Brauerei, die Biere wie das „Arrogant Bastard Ale“ produziert. Mit seinen 7,2 Prozent Alkohol in der schwarzen Halbliterdose steht es auch bei Kaiser’s im Regal. Der Text auf der Rückseite: „Du hast hier ein aggressives Bier vor dir. Es wird dir wahrscheinlich nicht schmecken. Abgesehen davon ist es ziemlich fraglich, daß du genug Geschmack oder Erfahrung besitzt, ein Bier mit dieser Qualität und Intensität richtig genießen zu können.“

Deutsche Familienbrauer die ersten Craft-Bier-Brauer

Die Muttergesellschaft Stone Brewery (deutsch: Steinbräu) hat der Kalifornier Greg Koch 1996 in San Diego gegründet. Inzwischen ist er einer der Großen im Craft-Bier-Markt in den USA. Craft Bier ist handwerklich hergestelltes Bier; jenseits des Atlantiks gehört es seit Jahrzehnten zur Normalität. Kein Wunder, wenn man an die US-Supermarktbiere denkt. Wer jemals ein Miller oder Bud trinken mußte, erinnert sich mit Schaudern. Seit über einem halben Jahrhundert werden diese Industriebiere in Masse gebraut, untergärig, schwach alkoholisiert und von undefinierbarer Farbe. Es waren die Achtundsechziger, die zuerst dagegen aufbegehrten und dem Massenbier ihr eigenes, ihr Craft Bier entgegensetzten. Heute liegt der Anteil der Craft Biere in den USA bei 14 Prozent – Tendenz steigend. Während Miller & Co. ihren Ausstoß senken müssen, kommen manche der Crafts mit der Produktion gar nicht nach.

In Deutschland hat der Rückzug kleiner Brauereien eine analoge Entwicklung gefördert. Der weltweite Konzentrationsprozeß scheint unaufhaltsam. Die vier Brauriesen – AB InBev, SABMiller, Heineken und Carlsberg – decken 40 Prozent der weltweiten Nachfrage. Ihnen gehören so bekannte deutsche Marken wie Beck’s, Fransziskaner, Hasseröder, Diebels und andere, auch die tschechischen Klassiker Pilsner Urquell und Budweiser. Deutsche Konzerne folgen mit weitem Abstand.

Was auf den ersten Blick wie ein Handicap wirkt, ist in Wahrheit die Stärke der deutschen Brauer. Es kommt schließlich nicht (nur) auf Größe an, sondern auf Vielfalt und besonders auf Qualität. Erst recht bei einem Produkt, das traditionell als Genuß- und Nahrungsmittel gilt. Kein Wunder, daß die eingesessenen deutschen Familienbrauer stolz von sich behaupten, die ersten Craft-Bier-Produzenten gewesen zu sein.

Nach den Regeln der amerikanischen Brewers Association sind sie das auf jeden Fall. Ein amerikanischer Craft-Bier-Brauer muß klein, unabhängig und traditionell sein. Unabhängig bedeutet, daß höchstens 25 Prozent der Brauereianteile einem Konzern gehören dürfen. Die Vorgabe traditionell besagt, daß ein Bier „größtenteils“ aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe bestehen muß. Nur die US-Obergrenze für „kleine“ Brauer – 9,5 Millionen Hektoliter im Jahr – paßt nicht zu deutschen Maßstäben. Krombacher, einer der ganz Großen hierzulande, produziert insgesamt „nur“ 6,5 Millionen Hektoliter.

Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den jungen amerikanischen und den alteingesessenen deutschen Brauern. Und das nicht nur beim Etikettendesign. Lars Müller vom Bierportal brewcomer.com: „Die amerikanischen Craft-Bier-Produzenten verkaufen sich teilweise als Rebellen und versuchen, Trendsetter zu sein. Die unabhängigen Familienbrauereien in Deutschland haben eine lange Tradition; sie setzen auf bewährte Produkte und nicht so sehr auf Veränderung oder gar Revolution.“ Und natürlich – in Deutschland würden auch andere Bierstile erwartet.

Was nicht heißt, daß die deutschen Brauer den Trend links liegen lassen. Die sächsische Radeberger, Flaggschiff der marktführenden Oetker-Gruppe (Radeberger, Jever, Freiberger, Allgäuer Brauhaus, Schöfferhofer, Tucher) unterhält eine eigene Craft-Tochter: BraufactuM. 32 Biere umfaßt die Kollektion, darunter acht eigene Kreationen. Präsentiert werden Aromen, Gerüche und Farbspiele, die man bei Bieren nicht erwarte: Fruchtnoten von Himbeeren, Kirschen, Aprikosen oder Birnen, kräftige Honig-, Ingwer oder Kandis-Aromen, Kräuter-, Nuß- oder Tabakdüfte.

Schon im Vorjahr klagte der Hamburger Besitzer einer Mikrobrauerei, Oliver Wesseloh: „Jede zweite Brauerei glaubt, sie müsse nur ein wenig mehr Hopfen in ihr Helles bröseln und schon könne sie es teuer verkaufen.“ Bei Aldi und Lidl ist der Trend noch nicht zu beobachten, doch in den Regalen der großen Kaisers- und Edeka-Filialen häufen sich die Bitterbiere mit bunten Etiketten oder gar in gänzlich mit Papier umwickelten Flaschen. 

Der Zeitpunkt ist absehbar, an dem die Modetrinker, wie immer angewidert von jeder drohenden Vermassung, sich ab- und dem nächsten Hype zuwenden. Um so mehr kommt es auf die echten Craft-Bier-Brauer an. Sie müssen zeigen, daß ihr Produkt mehr ist als nur der hopfige, fruchtige Klassiker India Pale Ale (IPA). Die Gefahr liegt darin, daß der Craft-Markt vom „verpilsten“ IPA dominiert wird und der Verbraucher nach drei Bittergenüssen wieder zum runden, weichen Export aus der Industriebrauerei greift.

Dabei ist der Hopfenanteil kein Erkennungszeichen eines Craft-Biers. Vielmehr geht es um Unterscheidbarkeit. Craft Biere sind Biere mit eigenem Charakter – eben nicht wie das bekannte holländische Industriegebräu, das genauso schmecken soll wie alle Biere der Welt zusammengerührt. Ein Craft Bier hebt sich von der Masse ab – aber nicht unbedingt dadurch, daß es bitter ist.

Die Berliner Szene hat sich dem neuen Bier à l’américaine jedenfalls verschrieben. So scharf ist man auf die hochgehopften, bitter-fruchtigen Gebräue, daß es gar nicht West Coast genug sein kann. Noch bis zum 30. Juli feiern 50 „Locations“ die zweite „Berlin Beer Week“, bei der sich alles um Chinook- oder English-Fuggle-Hopfen, Mikrobrauereien und IBU’s (International Bitterness Units) dreht. Da geht es anders zu als in einer Schultheiß-Kiezkneipe – obwohl man dort, das muß der Gerechtigkeit halber gesagt werden, noch ohne Kenntnis der englischen Sprache den Weg zur Toilette findet.

Der Kalifornier Greg Koch, der seinen Mariendorfer Steinbräu-Komplex aus Brauerei, 600-Plätze-Bistro, Shop und Biergarten im September 2016 eröffnen will, hat noch eine Überraschung in petto: Von Flaschenbier hält er gar nichts. „Ich habe gehört, daß Berlins Bürgersteige mit Glasscherben und Flaschenverschlüssen übersät sind. Hoffentlich wissen es die Berliner zu schätzen, daß wir an dieser speziellen Eigenart Berlins nicht teilnehmen werden“, frotzelt Koch. Sein Produkt wird in der Dose verkauft. Hundert Prozent verlustfreies Alu-Recyling, kompletter Lichtschutz und das geringe Gewicht gäben den Ausschlag. Zwar würden Arrogant Bastard Ale und Stone IPA nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut, doch glaube er nicht an diese Einschränkung. Koch weiß, daß er provoziert – vom Industriebrauer bis zum grünen Ökologen. Er will das auch. Und nicht nur die deutsche Bierbranche kann davon profitieren.

Ralf Frenzel (Hrsg.): Beef! Craft Beer – Meisterstücke für Männer. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2015, 258 Seiten, gebunden, 39,90 Euro