© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Er wollte sündhafte Naturen auf den Pfad der Tugend zurückführen
Rätselhafte Schreckensbilder: Vor fünfhundert Jahren starb der niederländische Renaissance-Maler Hieronymus Bosch
Wolfgang Kaufmann

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also der Epoche des Übergangs zwischen Mittelalter und Neuzeit, wuchs ’s-Hertogenbosch zur sechstgrößten Stadt der Niederlande heran und erlebte einen bis dahin nicht gekannten wirtschaftlichen Aufschwung. Zugleich jedoch strömten durch den andauernden Krieg um das den Habsburgern untreu gewordene Herzogtum Geldern massenhaft Flüchtlinge in die prosperierende nordbrabantische Ortschaft, was zu wachsenden Spannungen und diversen Verteilungskämpfen führte. Hinzu kamen weitere zeittypische Geißeln wie Seuchen, Feuersbrünste, Teuerungen und Attacken von Raubgesindel. Dies alles prägte natürlich auch das Schaffen der bildenden Künstler der Region, wobei es aber keiner so sehr auf die Spitze trieb, wie der Maler Jheronimus van Aken, der um 1450 in ’s-Hertogenbosch geboren worden war und sich später in bürgerstolzer Anspielung hierauf Hieronymus Bosch nannte.

Seine Werke – 24 große Tafelbilder und Triptychen sowie noch einmal so viele Zeichnungen haben die Zeitläufte überstanden – verbreiten in den meisten Fällen eine Aura des Grauens, was ganz wesentlich an der ungeschönten Darstellung von üblen Folterpraktiken und infernalischen Bestrafungen liegt.

Darüber hinaus verstören aber auch die zahlreichen bizarren Details: Was mögen die gleißenden „Scheinwerferstrahlen“ bedeuten, die durch die apokalyptischen Ruinenlandschaften von Boschs Höllenhorizonten geistern? Worum handelt es sich bei dem Wesen, das in „Die Versuchungen des Heiligen Antonius“ auf einer Sense durch die Luft fliegt und dabei kräftig Rauch furzt? Und welche Bedeutung haben der „Baummensch“ auf dem rechten Flügel des Dreitafelbildes „Der Garten der Lüste“ und all die sonstigen amorphen Gestalten zu Lande und zu Wasser?

Aber vermutlich war es eben gerade dieses künstlerische „Gesamtpaket“ des „Boschesken“, welches die Zeitgenossen in ihren Bann zog und manch Wohlhabenden unter ihnen bewog, exorbitante Summen für ein Bild des Malers zu zahlen. So ließ sich der regierende Fürst der Niederlande, Erzherzog Philipp I. von Habsburg, das sogenannte „Weltgerichtstriptychon“ sagenhafte 360 Gulden kosten, was dem Gegenwert von etwa sechs mittelgroßen Handelskoggen entsprach.

Bosch gehörte einer christlichen Bruderschaft an

Dabei steht keineswegs fest, ob Philipp „der Schöne“ das Kunstwerk in seiner Komplexität und Gesamtaussage verstanden hat, denn oft lagen die Exegeten Boschs reichlich falsch. Was gab es nicht schon alles für Deutungen – beginnend mit der Theorie des italienischen Humanisten Marcantonio Michiel von 1521, daß der Maler „Traumgesichte“ auf die Holztafeln gezaubert habe?!

So bezeichnete man Bosch als phantasiebegabten Visionär, der von Zukunftsvorahnungen getrieben worden sei. Später wiederum erklärten die Symbolisten und Surrealisten den Renaissance-Künstler zum Begründer ihrer beiden Stilrichtungen – mit Ausnahme von Salvador Dalí freilich, der von einer „gigantischen Diarrhoe“ sprach, die ihn in keiner Weise inspiriere. Ebenso äußerten sich Psychoanalytiker und Psychiater über den „Schreckensmaler“ und diagnostizierten abwechselnd Wahnvorstellungen aufgrund von Geisteskrankheit beziehungsweise Drogenmißbrauch oder geniales Zitieren aus dem kollektiven Unterbewußtsein der Menschheit.

Und dann sind da noch all die Deutungen, die besagen, daß Boschs Bilder vor geheimen Symbolen strotzen, die ihn als Vertreter einer mehr oder weniger häretischen Sekte ausweisen. In diesem Zusammenhang wurde von Kunsthistorikern wie Wilhelm Fraenger, Edward Cohen und Lotte Brand Philip vor allem der 1496 zum Christentum konvertierte Jude Jacop van Almaengien ins Spiel gebracht: Dieser soll dem Maler die Ideen für dessen doch augenscheinlich „ketzerische“ Motive geliefert haben.

Tatsächlich aber verhielt es sich wohl sehr viel einfacher. Den Quellen zufolge war Bosch, der dem elitären inneren Zirkel der angesehenen christlichen Bruderschaft Unserer Lieben Frau angehörte, ein zutiefst frommer Mann mit betont gottgefälligem Lebenswandel gewesen. Und als solcher wollte er seine Mitmenschen bestimmt zu Gleichem bekehren. 

Also zeigte er ihnen zunächst in möglichst drastischen Details die Abscheulichkeit jeder einzelnen Todsünde, um dann dazu überzuleiten, was denen beim Jüngsten Gericht und in der Hölle blühen werde, die sich solche Verfehlungen hatten zuschulden kommen lassen.

Dabei ignorierte der von einem moralpädagogischen Furor getriebene Bosch sämtliche damals geltende Konventionen in bezug auf die Bildkomposition von Triptychen, die eine gleichmäßige Aufteilung in Himmel, Gericht und Hölle vorsahen: Bei ihm dominieren das eschatologische Inferno und die Tortur, während die wenigen Geretteten beinahe in der Masse der Verdammten untergehen. Eindringlicher konnte man die Gläubigen wohl nicht auf mögliche Konsequenzen ihres Handelns hinweisen.

Inwieweit der Maler dabei an die Realität seiner Schreckensbilder glaubte, sei dahingestellt. Aber wahrscheinlich ersann er als ambitionierter Erzieher einfach nur möglichst verstörende Gewalt-

szenen, um die sündhaften Naturen durch „Bilderterror“ zu läutern und auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Und die dunklen, kryptischen Details dienten dann sicher dem Zweck, nicht nur mit bereits bekannten Strafen zu drohen, sondern auch mit Dingen, deren Fürchterlichkeit die Menschen nur bebend erahnen konnten.  

Dabei dürfte der Künstler angesichts des eigenen Lebensstils keine allzu großen Ängste gelitten haben, bald selbst Höllenqualen wie den von ihm Gemalten ausgesetzt zu sein, als er im Sommer 1516 an einer hochansteckenden Form der Rippenfellentzündung erkrankte und damit rechnen mußte, das Zeitliche zu segnen. Kurz darauf erlag Hieronymus Bosch dann tatsächlich der Seuche, welche von Flüchtlingen in die Stadt gebracht worden war, wo sie ähnlich der Pest wütete. Sein genaues Todesdatum ist jedoch nicht bekannt.