© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Was wir nicht wissen wollen
Trends: Neuerdings berichten Journalisten auch darüber, was sie nicht wissen – oft geht es dabei um islamistische Attentate
Ronald Berthold

In Zeiten des Vertrauensverlustes soll eine neue journalistische Darstellungsform Glaubwürdigkeit schaffen. Viele Tageszeitungen haben die Rubrik „Was wir wissen und was nicht“ eingeführt. 

Zu Brennpunktthemen und aktuellen Ereignissen möchten die Redakteure auf diese Weise einen schnellen Überblick schaffen – und vor allem eines zeigen: Mut zur Lücke. Die Artikelart ist immer als Selbstinterview aufgebaut, das heißt, die Zeitung stellt Fragen, die sie dann beantwortet. Während früher der heißumkämpfte Platz in der Zeitung nur für recherchierte Fakten ausgegeben wurde, stellen die Medien heute ausführlich dar, was die Redakteure nicht erfragen konnten oder wofür es derzeit (vermeintlich) noch keine Erklärungen gibt. 

Dies geschieht allerdings auch dann, wenn diese Fakten bereits benannt sind. Früher galten Staatspräsidenten und Innenminister für Journalisten als glaubwürdige Quellen. Dies hat sich in Zeiten des islamischen Terrors geändert.

Als das französische Staatsoberhaupt François Hollande und sein Innenminister Bernard Cazeneuve längst erklärt hatten, daß es sich beim Massenmord von Nizza um einen muslimisch motivierten Terrorakt handelte, schrieben zahlreiche deutsche Zeitungen (darunter beispielsweise Die Zeit und Die Welt) unisono und wortgleich unter „Was wir nicht wissen“: „Ob der Täter einen islamistischen Hintergrund hat, ist aber unklar.“ 

Dabei räumten die Medien zwar ein, daß es in Frankreich keinen Zweifel mehr an der Motivation des Terroristen gab, in Deutschland aber galt das weiter als unerwünschte Spekulation.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Zug-Anschlag von Würzburg. Obwohl sich der Islamische Staat zu der Tat bekannt hatte und ein Bekennervideo des Attentäters ausstrahlte, wurde genau diese Verbindung unter „Was wir nicht wissen“ abgehandelt. Was als Signal der Offenheit gedacht war, empfinden manche Leser nun erneut als Instrument der Manipulation und der Verharmlosung des Islamismus.