© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Das türkische Cannae
Der Sieg Prinz Eugens bei Peterwardein 1716 ordnete die Verhältnisse auf dem Balkan neu
Hermann Piller

Am 5. August 1716 stehen sich die Streitkräfte des Osmanischen Reiches unter dem Großwesir Silahdar Damat Ali Pascha und das kaiserliche Heer Österreichs unter dem Prinzen Eugen von Savoyen gegenüber. Damat Ali ist Herrscher eines Weltreiches. Es war jahrhundertelang die entscheidende politische und militärische Macht in Klein-asien, Nordafrika, dem Nahen Osten, dem Balkan und der Krim. Wenn es auch durch politische und militärische Niederlagen seit dem Großen Türkenkrieg nach der gescheiterten Belagerung Wiens mehr als dreißig Jahre zuvor geschwächt scheint, so ist es noch immer eine potente Macht, die sich nun anschickt, verlorenes Territorium, vorerst gegen die Dogenrepublik Venedig und eventuell später gegen das Habsburgerreich, zurückzugewinnen und so die Bedingungen des Friedens von Karlowitz von 1699 zu revidieren. 

Heer des Großwesirs ist mehr als doppelt so stark

Vorerst einem Konflikt mit Österreich aus dem Weg gehend, wollen sich die Osmanen zuerst der vermeintlich schwächeren Republik Venedig zuwenden, wobei der Großwesir Siege auf Kreta und dem Peloponnes erlangt. Ein Eingreifen Habsburgs zu diesem Zeitpunkt hatte Damat Ali nicht erwartet, da er damit rechnete, daß die Dynastie sich noch von den Folgen des Spanischen Erbfolgekriegs (1701–1714) erholen müßte. Diese Einschätzung war nicht falsch. So versuchten die Habsburger unter Kaiser Karl VI. in der Tat vorerst, durch Verhandlungsangebote einen Krieg zu verhindern, da sowohl die kaiserliche Armee als auch die Staatsfinanzen nach 13 Jahren Krieg erschöpft waren.

Selbst nachdem das nach den Niederlagen gegen die Türken unter Druck stehende Venedig mit Berufung auf die Heilige Liga von 1684 Hilfe ersucht, zögert der Kaiser noch. Erst als Papst Clemens sowohl finanzielle Mittel als auch eine Garantieerklärung Frankreichs für die italienischen Besitztümer der Habsburgermonarchie erwirkt, lenkt Karl VI. ein und erneuert am 13. April 1716 die Liga. 

Darauf erklärt das Osmanische Reich auch Österreich den Krieg. Als die Osmanen nun die habsburgischen Besitzungen in Ungarn bedrängen, befiehlt der Kaiser seinem Präsidenten des Hofkriegsrates, dem „Edlen Ritter“ Prinz Eugen, erneut gegen die Türken zu marschieren und ihnen nochmals eine Niederlage beizufügen. Dieser stellt sich den Angreifern an der Festung Peterwardein an der Donau, welche nach ihrer Eroberung 1691 mehr und mehr ausgebaut wurde und die wichtigste Bastion Österreichs auf dem Balkan ist, nur fünfzig Kilometer nördlich von Belgrad gelegen.

Als die Versammlung des Heeres abgeschlossen ist, verfügt Prinz Eugen über 60.000 bis 70.000 Soldaten. Ihm entgegen steht ein Feind, welcher mehr als doppelt so stark ist. Der Großwesir verfügt alles in allem über eine Streitmacht von 150.000 Mann. Darunter befinden sich Elitetruppen der Janitscharen in einer Stärke von 40.000 Mann und 20.000 berittene Sipahi. Der kaiserliche Kommandant trifft am Versammlungsort, dem Heerlager Futog etwa zehn Kilometer westlich der Festung Peterwardein, am 9. Juli ein. Die Osmanen bauen Ende Juli in klarer Offensivabsicht eine Brücke über die südlich gelegene Save, die dann am 26. und 27. Juli überschritten wird.

Bereits am 2. August marschieren die Türken auf Karlowitz zu. In der Nacht zum 4. August nähern sie sich auf kürzeste Distanz der kaiserlichen Armee und graben sich in Schützengräben ein. Am folgenden Morgen soll der Angriff des kaiserlichen Heeres beginnen, doch müssen zuerst die durch starken Wind beschädigten Schiffsbrücken repariert werden, damit der Kern der kaiserlichen Truppen über die Donau gezogen werden kann. Als Prinz Eugen die Schlacht um 7 Uhr früh eröffnet, gelingt dem Prinzen Alexander von Württemberg eine Offensive, bei der er eine osmanische Geschützbatterie im Sturm nehmen kann. Doch bedingt durch den schmalen Ausgang des Heerlagers verzögert sich der Aufmarsch des kaiserlichen Zentrums, und dies nutzen die Janitscharen sofort für einen Gegenangriff aus, das Zentrum kommt in Bedrängnis und wird sogar ins Lager zurückgetrieben.

Grundstein für Habsburgs Macht auf dem Balkan

Trotz der prekären Situation behält Prinz Eugen den Überblick, schickt zusätzliche Truppen ins Zentrum und darüber hinaus seine Kavallerie in die Flanke der Osmanen, wodurch diese eingekesselt werden. Dem Großwesir gelingt es nicht, den Kessel zu sprengen. Nachdem die nun hoffnungslos eingekesselten Türken aufgerieben sind, führt Prinz Eugen die kaiserlichen Truppen tollkühn gegen das Lager des Großwesirs Damat Ali. Kaum 50.000 Mann des osmanischen Heeres konnten sich nach Belgrad zurückziehen. Unter den etwa 100.000 Mann an Verlusten und Gefangenen befindet sich auch Großwesir Damat Ali als Gefallener. Darüber hinaus wird das Hauptquartier-Zelt des Großwesirs, 172 Artilleriegeschütze, 156 Fahnen, 5 Roßschweife und vieles mehr erbeutet. Auch werden Beweise für die Grausamkeit der Osmanen gegenüber ihren Gefangenen gefunden, so der enthauptete und in Ketten gelegte Leichnam des erst vor kurzem in türkische Gefangenschaft geratenen Feldmarschall-Leutnants Wenzel-Siegfried von Breuner. 

Der Sieg bei Peterwardein legt den Grundstein für die im Herbst folgende Eroberung der Festung Temeschburg im Banat und die Belagerung und letztlich Eroberung von Belgrad am 18. August 1717. Im Frieden von Passarowitz dehnt sich der Einfluß der habsburgischen Monarchie weit auf dem Balkan aus: Der Kaiser gewinnt die komplette Woiwodina mit Belgrad, das Banat und die kleine Walachei dazu. Dieses Einflußgebiet wird Habsburg bis weit ins 19. Jahrhundert behaupten.