© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Knapp daneben
Tätowierer brauchen Rechtssicherheit
Karl Heinzen

Wer sich vor ein paar Jahren ein Tattoo stechen ließ, blickte verunsichert in die Zukunft. Spießbürgerliche Medien versuchten ihm einzureden, daß er nur einer Mode aufsitzen würde. Schon bald bekäme er Panikattacken, sobald der Sommer naht und er die unter seine Haut geritzten Zeichnungen nicht mehr verbergen könnte. Seine Mitmenschen würden ihn auslachen. Am Arbeitsplatz müßte er befürchten, daß die Karriere ins Stocken gerät.

Heute ist klar, daß Tattoos ein etabliertes gesellschaftliches Grundbedürfnis sind. Das Gequatsche von Soziologen, die sich über den Rückfall in tribale und magische Urzeiten ausließen, ist verstummt. Zehn Millionen Deutsche haben sich bereits tätowieren lassen. Jeder vierte junge Mensch unter 30 verleiht auf diese Weise seiner Persönlichkeit Ausdruck. Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn etwas, das derart großen Zuspruch findet, nicht nach Regulierung schreien würde. Erstaunlicherweise gibt es hier einen enormen Nachholbedarf. 

Das Justizministerium muß schnellstens eine Liste von unbotmäßigen Symbolen und Parolen erarbeiten. 

Obwohl der Tätowierer weitaus größere Verantwortung für Gesundheit und Aussehen seines Kunden trägt als  ein Frisör, handelt es sich immer noch nicht um einen Ausbildungsberuf. Die Hygienevorschriften sind rudimentär. Die Unsicherheit, welche Farben verwendet werden sollten, ist groß. 

Regeln des Verbraucherschutzes wie etwa das Rückgaberecht sind schwer anzuwenden. Der Bundesverband Tattoo will aber nicht bloß auf Initiativen des Gesetzgebers warten. Er kümmert sich gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Normierung selbst um die Formulierung von Standards. 

Dabei sollte das Augenmerk aber nicht allein auf das Wie der Tätowierung gelegt werden. Nicht minder wichtig ist, was unter die Haut geritzt wird. Was nützt es, wenn wir uns mit großem Aufwand darum kümmern, daß Haßpropaganda aus dem Netz verschwindet, wenn Menschen diese auf ihren Körpern zur Schau stellen? Das Justizministerium ist gefordert, schnellstmöglich eine Liste von Symbolen und Parolen zu erarbeiten, um Tätowierern die Angst zu nehmen, wegen fanatisierter Kunden mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.