© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/16 / 29. Juli / 05. August 2016

Der Flaneur
Hartz an der Grenze
Sebastian Hennig

In der einstmals würdigen Hansestadt möchten wir uns noch irgendwo in einer Gaststube etwas mit den Einheimischen vermischen. Das erste Lokal nennt sich „Zur Linde“. Entsprechend der Aufschrift des Schildes stehen diese Bäume davor. Die Öffnungszeiten an der Tür werden nicht mehr eingehalten. Als wir nicht einmal eine öffentliche Bank finden, um in der Sommernacht ein wenig zu verweilen, vergessen wir den verstiegenen Wunsch nach einer Wirtschaft.

Endlich auf dem immer noch vom Krieg torsierten Platz hinter dem Rathaus gelangen wir doch zum Sitzen. Da kommt ein Dicker angeradelt und lädt uns zu einer Feier, von der wir dumpfe Rhythmusmusik schon im Vorübergehen bemerkten. Dort bräuchten sie angeblich Gäste. Auf die Frage, auf wen wir uns dazu berufen dürften, gibt er zur Antwort: Er sei der Herr Immels.

Offenbar ist unser Typus, zumal mit leeren Händen, hier nicht gefragt.

Unternehmungslustig wagen wir es. In dem Innenhof ist es unterdessen stiller geworden. Wir werden erstaunt gemustert von dem Jungvolk unter den weißen Kunststoffbaldachinen. Dann ergreift der Stubendickste das Wort. Zu unserem Anliegen meint er, da würde es sich wohl um einen Irrtum handeln. Offenbar ist unser Typus, zumal mit leeren Händen, hier nicht gefragt. Der Breite will aber nicht das Gesicht verlieren und sagt, hier wären sie privat, die gemeinte Feier sei wohl da vorn am „Sky“. Eher beiläufig betrachten wir den tristen Einkaufsmarkt, ohne etwas Feierliches oder Himmlisches daran zu bemerken. Er sieht weniger aus wie ein Laden, sondern eher wie eine Autowaschanlage. Aus den zahlreichen Plattenbauten der Innenstadt tönt Diskopop, wie in den achtziger Jahren.

In einer Seitenstraße geraten wir vor eine gleichfalls geschlossene Gaststätte mit dem Namen „Ein Herz für Hartz IV“. Auf dem Schild flattern viele kleine rote Herzen um die Frakturlettern „Freten & Supen“, norddeutsch für Fressen und Saufen. Eine kurze Karte verheißt „Preise Hart(z) an der Grenze“. Doch hier ist nur von Montag bis Freitag geöffnet. Darf man dazu „werktags“ sagen? Freten un Supen statt Tage und Taten.