© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Läuft ...
Paul Rosen

Wenn auf dem Friedrich-Ebert-Platz zwischen Reichstag und Parlamentarischer Gesellschaft Fahrzeuge von Handwerksfirmen in Reih und Glied stehen wie sonst die Dienstwagen der Abgeordneten und Minister, dann ist Sommerpause in Berlin. Schäden werden repariert und Wände frisch gestrichen, damit den Abgeordneten die schöne heile Welt präsentiert werden kann, die sie so lieben. Bis Anfang September haben die Handwerker Zeit, die Idylle noch schöner zu machen. 

Einige Kratzer werden aber auch die besten Maler nicht übertünchen können. Die „Wir schaffen das“-Politik von Angela Merkel verliert den Rückhalt in der Wählerschaft. Die Terroranschläge von Islamisten in Ansbach und Würzburg sowie weitere schwere Straftaten haben Entsetzen ausgelöst und zu der Frage geführt, ob es eine politische Verantwortung gibt. Und siehe da: Laut einer Insa-Umfrage ist fast jeder zweite Deutsche der Ansicht, daß die Anschläge auch eine Folge von Merkels Flüchtlingspolitik sind. Selbst jeder dritte CDU-Wähler stimmte der entsprechenden Frage von Insa zu. 

In den Zeitungen wurden fast schon mitleidsvolle Überschriften mit dem Tenor formuliert, Merkels beste Zeit liege wohl hinter ihr. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wurde bereits in den Status eines Unions-Kanzlerkandidaten im Wartestand erhoben, nachdem der CSU-Chef in der Wählergunst auf ungeahnte Höhen der Zustimmung stieg. Während Merkel von 59 auf 47 Prozent Zustimmung rutschte, stieg Seehofer von 33 auf 44 Prozent. Die Irritationen des Publikums verdecken etwas die Tatsache, daß außer Seehofer selbst ihn nur wenige richtig gut leiden können. Seit dem mißratenen Versuch von Edmund Stoiber im Jahr 2002 haben sich Kanzlerkandidaturen von CSU-Politikern endgültig erledigt. 

Bei den Sozialdemokraten reißt sich niemand so richtig um den Posten des Kanzlerkandidaten. Parteichef Sigmar Gabriel muß sich mit dem Vorwurf der Mauschelei im Übernahmeverfahren Edeka/Kaiser’s herumärgern, obwohl er nach eigener Aussage nur Arbeitsplätze retten wollte. Gabriels von einem großen Medienaufgebot begleitete Wahlkampfreise durch Mecklenburg-Vorpommern, wo im Herbst wie auch in der Hauptstadt Berlin Landtagswahlen sind, zeigte einen abgekämpft und müde wirkenden SPD-Chef. So mancher fragt sich bereits, ob Gabriel nicht mehr den Hut in den Ring, sondern vielmehr das Handtuch werfen könnte. Die bisherigen Umfragen weisen aus, daß die beiden früheren Volksparteien CDU und SPD in beiden Bundesländern keine großartigen Siege davontragen dürften. 

Merkel reagierte auf die Anschläge und die um sich greifende Verunsicherung mit dem Vorziehen ihrer Sommer-Pressekonferenz. Sie präsentierte in der Bundespressekonferenz ein Neun-Punkte-Programm zur Verbesserung der Sicherheitslage, der selbst von vielen der Kanzlerin sonst wohlgesonnenen Medien als „dürrer Plan“ kritisiert wurde. Die Abgeordneten wurden übrigens nicht von Merkel über ihren Plan unterrichtet. Im Reichstag blieben die Sitzungsräume leer. Die Maler konnten ihre Arbeit ungestört fortsetzen.