© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Gott braucht keine Erlösung
Bayreuther Festspiele: Uwe Eric Laufenberg inszeniert „Parsifal“ neu
Werner Dremel

Das große Defilee der Prominenten auf dem roten Teppich und der Staatsempfang fielen dieses Jahr zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele zwar aus, ansonsten aber ging alles seinen gewohnten Gang. Wagnerianer sind treue Seelen, und der Grüne Hügel bleibt für sie ein magischer Ort. Hier steht das Festspielhaus des Meisters, hier wird nur seine Musik aufgeführt. Auf dem Spielplan stehen wie immer die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, „Tristan und Isolde“, „Der fliegende Holländer“ und als diesjährige Neuproduktion der „Parsifal“. 

Wagners letztes Werk (Uraufführung in Bayreuth 1882) ist rätselhaft, voller Mystik und Metaphysik. Zwei Welten stehen sich unversöhnlich gegenüber: die Ritter der Gralsburg und die magische Welt Klingsors. Die Ritter besitzen den Kelch mit dem Blut Christi (den Gral), Klingsor den heiligen Speer, der die Seitenwunde schlug. Zwischen beiden Welten hin und her pendelt Kundry. Sie ist dazu verdammt, durch Zeiten und Räume zu irren, weil sie einst Christus auf seinem Kreuzweg nach Golgatha verspottete. Unter schrecklichen Schmerzen wird Gralskönig Amfortas von seinen Rittern gezwungen, immer wieder das „Liebesmahl“, eine Art Abendmahl, zu zelebrieren, um ihre Kraft und Stärke zu erhalten.

Parsifal kommt nun in dieser Runde an, völlig verständnislos, ein „reiner Tor“ eben. Als er dann „durch Mitleid wissend“ wird (der Kerngedanke des Werks), vernichtet er Klingsor, der mit der Lanze die nie heilende Wunde des Amfortas schlug, bringt den Speer zurück, erlöst Amfortas von seinem Amt, erlöst die Ritter und erlöst Kundry. Der All-Erlöser wird neuer Gralskönig. Vergebung und Erlösung sind Hauptthemen Wagners, personifiziert allerdings wird der Erlöser nur in diesem Werk!

Was macht nun der Regisseur Uwe Eric Laufenberg aus dieser Geschichte? Zunächst: Es geschieht viel, und man sieht viel – durchaus nicht die Regel in diesem Werk. Laufenberg arbeitet mit einem Bühnenbild (Gisbert Jäkel), das im großen und ganzen dem Werk gerecht wird; das Stück bleibt ohne an den Haaren herbeigezogene szenische Erläuterungen erkennbar. Laufenberg interpretiert allerdings Amfortas als Christus, mit Dornenkrone, zermartertem Körper und Seitenwunde. In den Gralskelch und in die  Kelche der Ritter fließt sein Blut, er selbst und der Boden sind blutüberströmt. Parsifal erlöst Amfortas/Christus, der also auch nur Mensch ist. Ein Gott braucht keine Erlösung! Und mit ihm erlöst er die ganze Menschheit – scheinbar von allen Religionen; die einzelnen Vertreter legen deren Symbole in den Sarg Titurels.

Schon der zweite Aufzug weist in diese Richtung: Die „Zauberwerkzeuge und nekromantischen Vorrichtungen“ (Regieanweisung Wagners) Klingsors sind viele ganz unterschiedliche Kruzifixe, die wie in einem riesigen Schaufenster dicht aufgehängt sind, und die mit Klingsors Untergang herunterkrachen. Das ist eine mögliche Auslegung des Werks, wenn auch Richard Wagner und viele seiner Interpreten die Gleichsetzung Parsifals oder gar Amfortas mit Jesus heftig ablehnen. Vordergründig erscheint alles sehr religiös, aber ist es das wirklich?

Ein grandioser Regieeinfall ist die Auslegung eines der rätselhaftesten Sätze des Werks. Gurnemanz sagt zu Parsifal: „Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.“ Eine voll abdeckende Filmleinwand macht die ganze Bühne zum Universum, und wir erleben den Schöpfungsakt. Galaxien von Sternen rasen auf uns zu und von uns weg, immer und immer wieder. Und man begreift das Mysterium: Raum und Zeit waren am Anfang noch eins …

Einige Zugeständnisse an den Zeitgeist überladen jedoch die Inszenierung und lenken vom eigentlichen Geschehen ab, zum Beispiel die immer wieder auftauchenden Söldner in Kampfanzügen, mit der MP im Anschlag. Was soll das?

Die Besetzung der Hauptrollen ist ein Glücksfall. Die Mammutpartie des Gurnemanz übernahm Georg Zeppenfeld: eine ganz große, deutliche und wunderbar klangschöne Stimme, vom Anfang bis zum Ende mächtig präsent! Er erntete tosenden Beifall des Publikums.  Klaus Florian Vogt sang mit samtenem, am Schluß markant verkündendem Tenor den Parsifal. Elena Pankratova war eine wandelbare Kundry, Ryan McKinny ein Amfortas voll der Qualen. Gerd Grochowski fiel dagegen als Klingsor etwas farblos aus. Dennoch: Das Zusammenspiel der Personen war eine gelungene Ensembleleistung.

Flankiert wird das Geschehen von einem überwältigenden Chor (Leiter Eberhard Friedrich), der seit vielen Jahrzehnten eine der Konstanten von Bayreuth ist.

Hartmut Haenchen (Fragebogen Seite 23) , der statt Andris Nelsons (JF 28/16) alle Vorstellungen dirigiert, gelingt es an vielen Stellen, mit dem fabelhaft disponierten Orchester die Transzendenz dieser Musik zu vermitteln. Vom Vorspiel bis zu „Erlösung dem Erlöser“ schlägt einen die schwebende Ruhe der geheimnisvollen Welt des Grals in ihren Bann. Deutlich hebt Haenchen dagegen die Unruhe der Zauberwelt Klingsors mit ihren leidenschaftlich aufwühlenden, lockenden Motiven hervor.

Weitere „Parsifal“-Vorstellungen finden statt am 15., 24. und 28. August. An diesem Tag enden die Bayreuther Festspiele. 

 www.bayreuther-festspiele.de