© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/16 / 12. August 2016

Angst vor dem Verborgenen
Meister des Grauens: H. P. Lovecrafts Gruselgeschichten „Innsmouth“ und „Cthulhu“ als Hörspiel-Klassiker
Werner Olles

In einem amerikanischen Kleinverlag erschien 1936 in winziger Auflage „The Shadow over Innsmouth“ („Schatten über Innsmouth“). Es war das einzige Buch von H. P. Lovecraft, das zu seinen Lebzeiten erschien. Ein Jahr später verstarb er, vom Darmkrebs zerfressen. Sein hinterlassenes Werk ist nicht besonders umfangreich, dennoch wuchs sein Ruhm als Meister des Makabren ständig, und seine unheimlichen Geschichten wurden in viele Sprachen übersetzt.

Dabei war der 1890 geborene Sohn eines Handlungsreisenden als Autor alles andere als ein Visionär, vielmehr sah er sich selbst als Chronist des Grauens, der seinen eigenen Ehrgeiz kultiviert: die Erfindung einer Mythologie, die Beschreibung eines geschlossenen totalen Universums. Seine grundlegende Idee, daß der Mensch sich fürchtet vor dem Unbekannten und Unheimlichen aus den unermeßlichen Tiefen des Kosmos, verwendete Lovecraft erfolgreich bei der Schöpfung seines Cthulhu-Mythos, der in den meisten seiner Erzählungen das Kernstück bildet. Dieser Mythos ist eine Wiederbelebung alter Sagen und Dämonengeschichten im kosmischen Rahmen und stellt eine Verbindung zwischen Weird- und Science-fiction her.

Labyrinthische Stadt auf dem Meeresgrund

 Der Erzähler der recht aparten Geschichte „Schatten über Innsmouth“ flieht in den Morgenstunden des 16. Juli 1927, von Grauen geschüttelt, Hals über Kopf aus der verschlafenen Hafenstadt. Sein verzweifeltes Drängen führt zu einer behördlichen Untersuchung, zu zahlreichen Verhaftungen und zur Sprengung einer Anzahl alter Häuser. Erst lange nachdem alles vorbei ist, von quälenden Träumen geplagt, in denen irrwitzige, alptraumhafte Lebewesen vorkommen, entschließt er sich zu berichten, was er in jenem von bösen Schatten erfüllten Hafen des Todes und der blasphemischen Abnormität erlebte. Er wurde damals Zeuge einer ruchlosen Zeremonie der Anhänger des Fischgottes Dagon und des noch schrecklicheren Cthulhu, und erst in letzter Minute gelang ihm die Flucht durch die nächtlichen Gassen des zerfallenden und verwesenden Innsmouth, verfolgt von den degenerierten Einwohnern des Küstenstädtchens, deren unmenschliche Stimmen und Schritte ihn seitdem nicht mehr zur Ruhe kommen lassen …

Die Horror-Kurzgeschichte „Cthulhus Ruf“ veröffentlichte Lovecraft 1928 in der Zeitschrift Weird Tales. Hier findet der Erzähler im Nachlaß seines Onkels Hinweise auf eine mysteriöse Macht, die von einer labyrinthischen Stadt auf dem Meeresgrund ausgeht. Der Ruf des Cthulhu, einer gottartigen Wesenheit, dringt bei einer bestimmten Konstellation der Gestirne aus der Tiefe an die Oberfläche. Die Sternenkonstellation hat erneut Form angenommen, und überall auf der Erde bahnen sich Katastrophen an. Die Prophezeiungen aus den Dokumenten scheinen tatsächlich einzutreten. Doch ist die Menschheit wirklich dazu bereit, die grauenvolle Wahrheit zu erkennen?

Die beiden Lovecraft-Umsetzungen entstanden 1995 für die monatliche Hörspielreihe „Phantastik aus Studio 13“ des Süddeutschen Rundfunks. Durch die nackte Angst des Erzählers noch zusätzlich erschreckt, läßt sich der Hörer ganz ein auf die abseitigen Formen kosmischen Grauens, erfüllt von unförmigen, uralten Monstergottheiten, die sich in einer Sphäre dämonischer Andeutungen abspielen, in Stadtvierteln, die von den meisten Menschen gemieden werden, in hypnotischen Landschaften und abgeschiedenen Einöden, die seit Generationen verflucht sind. Spätestens wenn das Grauen, das sich meist unsichtbar im Verborgenen aufhält, sichtbar wird, spürt man, daß kein anderer so raffiniert und subtil und mit einer solchen Meisterschaft wie Lovecraft mit Stoffen des Entsetzens hantiert hat. 

H. P. Lovecraft Zwei Grusel-Hörspiele: Innsmouth/Cthulhu. Pidax-Film 2016, Laufzeit etwa 84 Minuten