© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Wahlkampf gegen sich selbst
Burka-Verbot und doppelte Staatsbürgerschaft: Eine CDU unter Druck blinkt panisch nach rechts
Konrad Adam

Nicht nur die Ratten, auch freundlichere Tiere haben das Bedürfnis, sinkende Schiffe zu verlassen. An diese alte Weisheit muß man denken, wenn man in diesen Tagen Zeitung liest. Dann bemerkt man, daß manche Haustiere ihren alten Unterschlupf verlassen und nach einem neuen suchen.  

In der Berichterstattung der „Tagesschau“ hat es die AfD zum ersten Mal an die zweite Stelle gebracht. Die Welt spricht einige Landes-, ja sogar Bundespolitiker dieser verfemten Partei demonstrativ vom Verdacht des Rechtsextremismus frei. Selbst einem so treuen Dackel wie Jakob Augstein dämmert es allmählich, daß der Doppelpaß für in Deutschland lebende Ausländer eine Torheit war. Und die FAZ wagt, was sie bisher noch nie gewagt hatte, sie äußert Zweifel an der Unfehlbarkeit der Kanzlerin. 

Ich will und muß hier wohl daran erinnern, daß ich, wo es um politisch ambitionierten Journalismus geht, nicht unbefangen bin, doppelt sogar. Einmal, weil ich in diesem Beruf zeit meines Arbeitslebens tätig gewesen bin, dann aber auch, weil ich danach selbst in die Politik gegangen bin, als Mitbegründer einer neuen Partei, der AfD. Ob das mein Urteil trübt oder meine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, mag jeder Leser selbst entscheiden.

Aber läßt es nicht aufhorchen, wenn eine große Zeitung, die aus ihrer Sympathie für CDU und für Frau Merkel nie einen Hehl gemacht hat, die Kanzlerin als stur bezeichnet? Mir scheint das eine kleine Sensation zu sein. Allerdings: Was bleibt der Zeitung anderes noch übrig, wenn Angela Merkel Behauptungen aufstellt, die entweder töricht oder falsch oder beides zugleich sind, und sie damit nicht nur die Bürger, sondern auch unsere europäischen Nachbarn vor den Kopf stößt? 

Manche ihrer Parteisoldaten suchen zu retten, was noch zu retten ist. Aus ihren unüberlegten und schlecht plazierten Äußerungen spricht reine Panik. Männern wie Lorenz Caffier, dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, oder Frank Henkel, der in Berlin das gleiche Amt versieht, muß das Wasser bis zum Halse stehen, wenn sie die AfD mit Forderungen zu bekämpfen suchen, die sie dem AfD-Programm entnommen haben könnten. 

Natürlich muß ihnen Bundesinnenminister Thomas de Maizière in die Parade fahren und versichern, daß ein Burka-Verbot oder die Revision der doppelten Staatsbürgerschaft mit ihm nicht zu machen sei; so will es die Parteiräson. Aber wie lange noch? Angesichts der Stimmung im Lande scheint es doch nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Union auch in diesen Punkten nachgibt. Warum auch nicht, da Prinzipienlosigkeit und Opportunismus die letzten Eigenschaften sind, die in dieser ehemals christlichen Partei noch etwas gelten?  

Mit ihrer Parole von der Alternativlosigkeit hat Angela Merkel nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch ihre Partei, die CDU, in die tiefste Krise ihrer Geschichte gestürzt. Denn daß es Alternativen gibt, daß es sie geben muß und wie sie aussehen, hat sie schließlich selbst mit ihren abenteuerlichen Wendemanövern in Sachen Wehrpflicht und Atomausstieg vorgeführt: Erst war sie dafür, dann dagegen; erst dagegen und dann dafür. Jetzt will sie Festigkeit beweisen, aber das gelingt ihr nicht. Denn was wie Grundsatztreue aussehen soll, wirkt nur noch wie Trotz. 

Um Zeit zu gewinnen und das Scheitern ihrer Politik nicht offen eingestehen zu müssen, hat sie die Formel ausgegeben, die Immigrantenströme, die sie nicht zuletzt mit ihren Selfies leichtfertigerweise ins Land gelockt hatte, an der Quelle, in ihren Ursachen zu bekämpfen. Gut und schön, aber wie macht man das? Dadurch, daß man das Waffengesetz verschärft? Durch härtere Internetkontrollen, flächendeckende Video-Überwachung, mehr Polizei und Aufrüstung der Bundeswehr?

Oder doch nicht lieber so, wie es die europäischen Nachbarländer den Deutschen vorgemacht haben: dadurch also, daß man die Grenzen schärfer überwacht, um Illegale an der Einreise zu hindern. Daß man unerwünschte Migranten, die es offensichtlich gibt, nicht anlockt, sondern abschreckt. Daß die Bundesmarine auf ihrer Mission im Mittelmeer Schlauchboote der Schlepper an den Haken nimmt und sie so schnell wie möglich dorthin zurückschafft, von wo sie hergekommen sind.

Warum das sinnvoll, ja geboten wäre, hat der jüngst verstorbene Philosoph André Glucksmann erklärt. Das demokratische Recht sei das Recht aller Bürger, ihr Land zu verlassen, meinte er. „Es ist aber nicht das Recht aller Bürger dieser Welt, in dieses oder jenes Land einzureisen und sich dort dauerhaft niederzulassen. Eine Demokratie, die sich dazu herbeiließe, jeden, der das wünscht, bei sich aufzunehmen, würde diese Regelung nicht überleben“ – sagt kein Rechter aus Deutschland, sondern ein linker Franzose.

Glucksmann hat recht. Und die Parteivorsitzenden, Generalsekretäre, Verbandspräsidenten, Industriekapitäne und Kirchenfürsten, die behaupten, mit einer humanitär verlogenen Flüchtlingspolitik die Menschenrechte zu verteidigen, haben unrecht. Jetzt geht es ums Ganze, um den Fortbestand der Demokratie in Deutschland. Jede, ausnahmslos jede Gemeinschaft verlangt nach Grenzen. Sie muß verbindlich sagen, wer dazugehört, vor allem aber auch: wer nicht.

Tut sie das nicht, dann geht sie vor die Hunde. Wer das nicht will, der mag sich auf das Grundgesetz berufen, auf seinen Artikel 20, der da lautet: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zumWiderstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Ob sie noch möglich ist, darüber entscheiden, neben vielen anderen, demnächst die Wähler in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. 






Dr. Konrad Adam war Redakteur und Korrespondent der FAZ und Welt. 2013 war er Mitbegründer der AfD.