© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Bruderkampf in Almanya
Gülen-Bewegung in Deutschland: Die konservativ-islamische Gruppierung gerät auch hierzulande ins Visier türkischer Nationalisten
Marc Zoellner

Es waren erschreckende Momente, die sich den Gästen des Jugendtreff Hassel boten: Wie aus dem Nichts gekommen, attackierten kürzlich etwa 150 zum Teil vermummte Jugendliche den Eingang der Einrichtung im Norden Gelsenkirchens. Scheiben gingen zu Bruch, als aus dem Boden gerissene Pflastersteine in Richtung der Fassade flogen; die Menge skandierte laute Rufe und Beschimpfungen; tumultartige Randale ließen Anwohner und Passanten verängstigt flüchten. Nur wenige Minuten dauerte die Szene an. 

Was blieb, war ein mit türkischen Flaggen behangener Treff, ein weiterer von türkischen Nationalisten eingeschüchterter Verein. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vom vergangenen Monat zeigt sich die türkische Gemeinde Deutschlands zutiefst gespalten. Anfeindungen zwischen den Anhängern Fethullah Gülens und denen des türkischen Präsidenten Recep Erdogan bestimmen das Diskussionsklima. Besonders bei den Gülenisten herrscht Angst: vor gesellschaftlicher Ausgrenzung, vor der Ächtung durch die Öffentlichkeit und auch vor dem Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Existenzen.

Auf offener Straße als       Vaterlandsverräter beleidigt

„Das ist wie in den dreißiger Jahren, als es hieß: Kauft nicht beim Juden“, berichtet ein Gelsenkirchener Einzelhändler dem Deutsch-Türkischen Journal (DTJ). Anhängern der Hizmet-Bewegung, wie die Gülenisten ihre lose Organisation offiziell nennen, würde der Zutritt zu Moscheen verwehrt. Als Vaterlandsverräter würden Gülenisten auf offener Straße beleidigt und drangsaliert. Morddrohungen kursierten ebenso wie Listen von Hizmet nahestehenden Privatpersonen, Geschäfts-                                                                          treibenden, Firmen und Organisationen. „In mehreren Städten“, schreibt das DTJ, „werde in Moscheen öffentlich dazu aufgerufen, in bestimmten Läden nicht mehr einzukaufen.“

Das Onlinemagazin weiß, wovon es spricht: Schließlich gehört es selbst zur World Media Group AG, der deutschen Medienholding des Gülen-Imperiums mit Sitz im hessischen Offenbach. Rund 250 Mitarbeiter sind allein in Deutschland für die Gruppe aktiv. Neben dem DTJ werden hier auch mehrere TV-Sender auf deutsch, englisch und türkisch sowie der deutschsprachige Ableger der türkischen Zaman, der ehemals größten Tageszeitung des kleinasiatischen Landes, produziert. Doch seit dem Putsch in der Türkei sieht die Zaman ihre weitere Herausgabe als akut bedroht. Nicht nur, weil die Zulieferungskanäle für Artikel türkischer Journalisten aufgrund der massiven Verfolgungswellen der türkischen Regierung mittlerweile versandet sind. Von den rund 14.000 Abonnenten in Deutschland, vermeldet die Offenbacher Redaktion, hätten allein in den vergangenen Wochen über 500 kündigen müssen. „Unsere Leser werden von erdogannahen Aktivisten unter Druck gesetzt“, klagte Dursun Çelik, Chefredakteur des Blattes, kürzlich im taz-Interview. „Wer mit unserem Blatt gesehen wird, muß damit rechnen, bei den türkischen Behörden denunziert zu werden.“

Hinweise, auf welche die türkische Regierung insbesondere in Hinblick auf ihre Auslieferungsgesuche an die Bundesrepublik erfreut reagiert: Gilt doch gerade Deutschland als Vorzeigeprojekt der Hizmet-Bewegung. Auf über 150.000 Anhänger können die die in rund 140 Ländern aktiven Gülenisten laut Selbstauskunft allein hierzulande zurückgreifen. Neben sozialen Einrichtungen wie der Stiftung Dialog und Bildung (SduB), einer Art Dachorganisation der dezentral ausgerichteten Bewegung, trägt Hizmet die Verwaltung von rund 30 Schulen, darunter mehreren Gymnasien, sowie über 160 Nachhilfegruppen. Mit dem Bundesverband der Unternehmervereinigungen (BUV) und der Konföderation Türkischer Unternehmer und Geschäftsleute (TUSKON) unterstehen ihr zwei finanzkräftige, vorrangig im deutsch-türkischen Mittelstand angesiedelte Lobbyvereine. 

Und selbst bis in höchste Ränge der bundesdeutschen Politik pflegte man bis vor kurzem noch hervorragende Kontakte: Für den von den Gülenisten ausgerichteten bundesweiten Mathematikwettbewerb Pangea stand Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) die vergangenen drei Jahre Pate. Im Beirat des Berliner Forums für interkulturellen Dialog fand sich bis Ende 2014 auch die langjährige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU).

„Baut Schulen statt Moscheen“, so lautet einer der Lehrsätze des charismatischen Gründers der gleichnamigen Gülen-Bewegung. Seine Anhänger gelten besonders in Deutschland als überaus angepaßt. Offiziell ist die islamische Religion nur eine von vielen Lehrinhalten an den Schulen Hizmets. Doch Kritiker sehen in den Einrichtungen der Gülen-Bewegung weit mehr als lediglich multiplikatorische Netzwerke zur Erleichterung der Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft. 

Erst Anfang August warnte Bernhard Lasotta, integrationspolitischer Sprecher der CDU im Landtag von Baden-Württemberg, vor der Gefahr, „daß diese Leute sich auch in unseren Institutionen breitmachen, um unter dem Deckmantel der Integration ihre türkischstämmigen Mitmenschen in einer Parallelwelt zu halten, die an die Überlegenheit eines islamisch-osmanischen Machtbereiches über unsere freiheitlich-westlichen Werte glaubt“.

Indoktrination soll             an Gehirnwäsche grenzen

Die Intransparenz des inneren Aufbaus Hizmets sowie die Aussteigern zufolge an Gehirnwäsche grenzende ideologische Indoktrination ihrer jugendlichen Anhängerschaft gerade in den der Öffentlichkeit verschlossenen sogenannten Lichthäusern, den in Dutzenden Städten zu findenden Studentenwohnheimen der Gülenisten, beklagt auch der Verfassungsschutz des Landes. 

Gleichwohl steht die Bewegung seit geraumer Zeit nicht mehr unter offizieller Beobachtung. Zwar sei ersichtlich, moniert der Inlandsgeheimdienst, daß eine Anzahl der Äußerungen Fethullah Gülens nicht mit dem Grundgesetz in Einklang stünde. Doch um die Gülen-Bewegung gesondert zu beobachten, so der Verfassungsschutz, fehle in Deutschland noch immer die gesetzliche Voraussetzung.