© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schlaraffia an der Spree
Paul Rosen

Eigentlich ist jeder weitere Kommentar überflüssig. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel attestierte den Bundestagsabgeordneten, die sich reichlich mit sündhaft teuren Montblanc-Füllern auf Staatskosten eingedeckt hatten: „Die haben einen Knall.“ Man müsse als Abgeordneter nicht mit einem solch teuren Füller schreiben, da sonst „der Eindruck entsteht, die da oben, wir da unten“. Ob Gabriel in seine Bewertung auch den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) eingeschlossen hat, ist nicht überliefert. Denn auch Lammert hatte 2009 einen Montblanc im Wert von 174,89 Euro bestellt, wie die Bild-Zeitung herausfand. Die Zeitung hatte berichtet, 2009 hätten 115 Abgeordnete innerhalb von zehn Monaten für 68.000 Euro edle Schreibgeräte bestellt. Legt man den Preis von Lammerts Füllfederhalter zugrunde, ergeben sich 388 edle Schreibgeräte für nur 115 Abgeordnete. 

2009 war ein besonderes Jahr. Damals standen Bundestagswahlen an. Vor Wahlterminen geraten Abgeordnete, vor allem die, die nicht mehr kandidieren oder Gefahr laufen, nicht wiedergewählt zu werden, in eine Art „Dezemberfieber“, wie man das aus der öffentlichen Verwaltung kennt. Dort wird vor Jahresschluß auch bestellt, was das Zeug hält, um die Etatreste auszuschöpfen. 

Im Bundestag erhalten Abgeordnete neben ihren Diäten und einer steuerfreien Kostenpauschale ein komplett ausgestattetes Büro. Reisekosten werden übernommen. Auch die Mitarbeiter werden vom Steuerzahler bezahlt. Das ist aber noch nicht alles. Die Montblanc-Käufe weisen auf einen weiteren feinen Geldtopf hin, in den Abgeordnete greifen können: das Sachleistungskonto. 

Dieses ist eine runde Sache, wenn man Abgeordneter ist, berichtet der Bund der Steuerzahler: „Hierzu stehen jedem Abgeordneten 12.000 Euro im Jahr zur Verfügung.“ Dafür gibt es (natürlich steuerfrei) beileibe nicht nur Papier und Bleistifte, wie die Montblanc-Bestellungen bereits ahnen lassen. „Vom Steuerzahler finanziert werden auch beispielsweise Kaffeevollautomaten, Digitalkameras, Notebooks, iPads und Navigationsgeräte inklusive deren Einbau im privaten Pkw.“ 

Für die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sind die Warenlisten des Bundestages wie ein Versandhauskatalog, dessen Angebote bestellt werden können mit dem Schlaraffenland-Vorteil, daß niemals eine Rechnung kommen wird. Der Bund der Steuerzahler hält das neben der kostenfreien Büroausstattung gewährte Sachleistungskonto für kritikwürdig, zumal alle über das Konto bestellten Artikel „hervorragend privat genutzt werden können“. Nach dem Verbleib der bestellten Waren fragt nämlich kein Mensch. 

Gabriel hätte als SPD-Vorsitzender längst dafür sorgen können, daß dieser schon zu Bonner Zeiten bekannte Mißstand beendet und das Sachleistungskonto gekürzt und die Büromaterialausgabe auf Papier, Bleistifte und das andere übliche Verbrauchsmaterial beschränkt wird. Aber da traut er sich nicht heran. Denn es ist leichter, im Bundestag eine Rentenkürzung durchzusetzen, als den Abgeordneten ihre vergoldeten Füllfederhalter zu nehmen.