© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Spree-Gesichter
Matthias Bath erzählt die Geschichte Berlins anhand prägnanter Biographien
Ronald Berthold

Wer glaubt, bereits alles über die deutsche Hauptstadt zu wissen, der sollte sich von Matthias Bath eines Besseren belehren lassen. Wie komprimiert der Autor in seinem soeben erschienenen Buch „Berlin – eine Biografie“ die historische, architektonische und gesellschaftliche Stadtentwicklung zusammenfaßt, gleicht einem Kunststück. Das nur 200 Seiten starke Werk erzählt die Geschichte der Stadt so unterhaltsam und detailreich, daß man sich fragt, weshalb es bisher ein solches Buch noch nicht gegeben hat und wie der Autor das auf diesem beschränkten Platz schafft.

Wie kann man überhaupt eine „Biografie“ über eine Stadt schreiben? Ist das nicht Menschen vorbehalten? Genau das ist der Trick des Buches. Es zerteilt die Berliner Geschichte in 37 Kurz-Biographien prägender Persönlichkeiten und ergänzt diese jeweils vorher mit einem kurzen Abriß über die Zeit, in der diese wirkten. Auch wenn sich das Buch daher ebenfalls als hervorragendes Nachschlagewerk geschichtlicher Figuren eignet, so liegt doch ein Schwerpunkt dieser Darstellungen immer auf dem, was die Menschen für Berlin erreicht haben und wie sie die Stadt weitergebracht haben. Dem Wachstum und der Entwicklung der Metropole kommt der Leser auf diese Weise sehr leicht auf die Spur.

Bath rundet die fünf Kapitel vom Mittelalter bis zur Teilung stets mit einer Zusammenfassung über die Bauten ab, die in diesen Epochen entstanden und zum Teil heute noch zu sehen sind. Dadurch eignet sich sein Werk durchaus auch als Reiseführer. Wenn überhaupt etwas fehlt, dann wären es vielleicht Karten, auf denen die Gebäude eingetragen sind. Das würde dann noch mehr zum historischen Stadtbummel einladen, als es das Buch ohnehin schon tut.

Bemerkenswert ist, daß Bath seine Berlin-Biographie bereits mit Albrecht dem Bären beginnt, der 137 Jahre vor der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt geboren wurde, nämlich 1100. Denn im Alter von 57 hielt er Einzug in die Brandenburg. Jener 11. Juni „gilt allgemein“, wie Bath schreibt, „als die Geburtsstunde der Mark Brandenburg“. Er bettet die Geschichte der Stadt also in den Landstrich ein, in dem sich die kleinen Siedlungen Cölln und Berlin, aus denen dann zunächst eine Doppelstadt und später die Millionenmetropole entstand, befinden. Auch wenn Cölln 1237 und Berlin 1244 das erste Mal in Schriftstücken auftauchen, so datiert der Autor die Gründung der deutschen Hauptstadt auf das Jahr 1200.

Während die Berliner Geschichte also früher beginnt als erwartet, so endet sie für ein 2016 veröffentlichtes Buch auf den ersten Blick ebenso erstaunlich früh, nämlich 1990. Begründung: In den vergangenen 26 Jahren habe sich „keine Persönlichkeit gezeigt, von der man sagen könnte, sie sei für Berlin von überragender Bedeutung und habe das Stadtbild geprägt“. Was die Einschätzung der Protagonisten angeht, möchte man dem Autor keineswegs widersprechen. Zu medioker sind die Menschen – gerade im Vergleich zu den von Bath porträtierten Persönlichkeiten –, die seitdem Berlin lenken.

Allerdings hat die Entwicklung der Stadt mit der Wiedervereinigung nicht aufgehört. Im Gegenteil: Sie ist rasant vorangeschritten. Touristen, die zuletzt vor dem Fall der Mauer in Berlin waren, werden Schwierigkeiten haben, das Stadtzentrum wiederzuerkennen und sich darin zurechtzufinden. Ganze Stadtquartiere – Potsdamer Platz, Leipziger Platz, Ministergärten, das Areal um den Hauptbahnhof und auch der Pariser Platz – sind neu entstanden. Von den Veränderungen in der Friedrichstraße und in der City West rund um den Bahnhof Zoo ganz zu schweigen.

Bei aller berechtigten Kritik an langweiliger und wenig menschenfreundlicher Glas-Beton-Architektur, die Bath höchstens unausgesprochen äußert, haben aber doch auch herausragende Stadtplaner wie Helmut Jahn und Hans Kollhoff, der sich bewußt am großen Baumeister Friedrich Wilhelms III., Karl Friedrich Schinkel, orientiert, ihre Spuren hinterlassen. Gerade ein Porträt über Kollhoff, der nicht nur das Backsteinhochhaus am Potsdamer Platz entworfen hat, sondern sich auch massiv für den Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie einsetzt, wäre wünschenswert gewesen – selbst wenn der Architekt nicht in Berlin geboren ist. 

Und das ist im übrigen Helmut Kohl, dem die letzte Kurz-Biographie gehört, auch nicht. Aber Kollhoff nimmt ganz bewußt Bezug auf die preußische Vergangenheit der Stadt, trägt damit zu ihrer Weiterentwicklung im historischen Kontext bei und hätte deswegen gut in Baths Buch gepaßt.

Seine Entscheidung, die Biographie mit der Wiedervereinigung enden zu lassen, macht sie allerdings nicht weniger lesenswert. Neben den Fürsten und Politikern, die Berlin im Mittelalter, dann als Hauptstadt Brandenburgs sowie Preußens und später des Deutschen Reiches wie auch in der Zeit der Teilung ihren Stempel aufgedrückt haben, lernt der Leser viel über andere Persönlichkeiten. Genannt seien hier der Bierbrauer Jobst Schultheiss, dem die Berliner ihre heutige Kulturbrauerei zu verdanken haben, der Werbemann Ernst Litfaß mit seinen das Stadtbild prägenden Reklamesäulen, der Komponist Paul Lincke („Berliner Luft“) und auch der Schuster Wilhelm Voigt, der als Hauptmann von Köpenick legendär wurde.

Illustriert wird das Buch mit 24 Schwarz-Weiß-Fotografien von Franziska Vu, die die wichtigsten Bauwerke, deren Geschichte Bath so kenntnisreich und mit viel Liebe zu seiner Stadt erzählt, gekonnt in Szene setzt. Seine Biographie hat Bath „den Berlinern“ gewidmet. Gelesen werden sollte es aber von allen, die sich für die deutsche Hauptstadt interessieren und die es mögen, auch wohlwollend und ohne erhobenen Zeigefinger durch die preußische Geschichte gelotst zu werden.

Matthias Bath: Berlin – eine Biografie. Menschen und Schicksale von den Askaniern bis Helmut Kohl und zur Hauptstadt Deutschlands. Verlag Nünnerich-Asmus, Mainz 2016 , gebunden, 200 Seiten, 24,90 Euro