© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Ernst Nolte
Feines Lächeln eines Herrn
Karlheinz Weissmann

Der erste Eindruck ist entscheidend. Der erste Eindruck, den ich von Ernst Nolte hatte, war der eines Herrn. Sicher spielte der klassische Anzug eine Rolle, die sorgfältig gebundene Krawatte. Aber entscheidender war die distanzierte Höflichkeit, die ruhige und souveräne Art, in der er sich dem anderen zuwandte, die leise Stimme. Die konnte auch sehr eindringlich werden, eine gewisse Schärfe annehmen oder Verachtung ausdrücken, so wie eine fast unmerkliche Veränderung der Körperhaltung oder des Mienenspiels.

Der Herr war in der zweiten Lebenshälfte Noltes schon eine anachronistische Figur. Er trat in der Spätphase der alten Bundesrepublik zwar noch auf, aber die Formlosigkeit der Massengesellschaft hatte längst um sich gegriffen. Der Herr war ein Relikt des bürgerlichen Zeitalters. Nolte hat sich auch mit dem Phänomen der Bürgerlichkeit intensiv auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, daß sie nur insofern „Kettfaden“ der Nachkriegsjahre sein konnte, als sie die Reaktion vieler einzelner auf die Niederlage im Europäischen Bürgerkrieg war. Sicherheitsbedürfnis und Sehnsucht nach Komfort bildeten die unreflektierte Basis. Nolte ging es bei dieser Feststellung nicht um Denunziation, aber doch darum, daß hier eben keine bewußte historische Entscheidung gefällt worden war, weder Nachdenken noch Stilbewußtsein den Ausschlag gaben, sondern der Katarrh nach dem Rausch antibürgerlicher Radikalität, ganz gleich, ob es sich um die faschistische oder die kommunistische Variante handelte. Bürgerlichkeit war eine Notlösung, eine, von der Nolte lange vor dem Kollaps der Sowjetunion und der unvermutet auftauchenden, wieder gegen den Westen gerichteten „Widerstandsbewegung“ des politischen Islam geäußert hatte, daß sie nicht genügen werde. Im Hinblick auf den „Mangel an Staatlichkeit“, der der westdeutschen Wirtschaftsgesellschaft unter US-Protektion innewohnte, bezweifelte er jedenfalls, daß es sich dabei um „die Vorwegnahme einer besseren Zukunft“ handele, nur weil man den Mangel im Alltag kaum spüre und die konstitutive Schwäche des Gemeinwesens das Leben des einzelnen angenehmer machte.

Nolte hielt sich mit Empfehlungen für die Zukunft eher zurück. Das hatte mit Abstand zum Politischen zu tun, einiges auch mit dem Selbstverständnis des Gelehrten und mehr noch mit der Reserve des Beobachters, der bei Prognosen vorsichtig blieb. An einer Stelle sprach Nolte allerdings von der Legitimität eines „defensiven Nationalismus“, der nicht imperial ausgreife, aber den Bestand des Eigenen verteidige. Er hat den Begriff des Nationalismus ausdrücklich nicht durch einen harmloseren ersetzt, und wenn ihn jemand aufforderte, doch vorsichtiger, taktischer, geschickter zu formulieren, erschien ein feines Lächeln auf seinem Gesicht, bevor er antwortete, überlegen, einem Herrn angemessen.