© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Leif ist live
Reportage: Unterwegs im Nordosten mit AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm
Hinrich Rohbohm

Die Wagen vor ihm werden langsamer. Ein Stau kündigt sich an. Gelassen werkelt Leif-Erik Holm an seinem Navi herum, sucht nach Alternativrouten. Keine Hektik, kein Streß kommt bei ihm auf. Der AfD-Spitzenkandidat von Mecklenburg-Vorpommern hat für die Anfahrt zu seinem nächsten Termin, einer Podiumsdiskussion der Industrie- und Handelskammer (IHK) Neubrandenburg, ausreichend Zeit eingeplant. Auch in der heißen Phase des Wahlkampfs läßt sich der 46 Jahre alte ehemalige Radiomoderator nicht aus der Ruhe bringen. „Ich fahre gerne über die Landstraßen“, sagt er, wohlwissend, daß ihm der Weg über die Autobahn zwanzig Minuten mehr Zeit verschafft hätte. So aber sehe er mehr von Land und Leuten, kommt durch die Ortschaften. Es klingelt im Wageninneren. Ein Anruf von der AfD-Landesgeschäftsstelle. Terminabsprachen. „Stell dir vor, hier haben die auch für uns plakatiert. Dabei bin ich noch in Brandenburg“, erzählt Holm seinem Mitarbeiter erfreut. 

„Schon immer politisch interessiert“

Holm könnte mit der AfD nach der Landtagswahl am 4. September zur stärksten politischen Kraft in Mecklenburg-Vorpommern aufsteigen. Die Umfragen sehen die derzeit noch nicht im Landtag vertretene Partei bei 19 Prozent. „Da geht noch mehr, viele trauen sich nicht, offen ihre Wahlentscheidung mitzuteilen“, ist der Spitzenkandidat überzeugt.

Wenige Minuten später klingelt es erneut. Der NDR ist am Apparat. Aber nur kurz. Verbindungsprobleme. Der zweite Anruf ist erfolgreicher. Die Journalisten wollen mit Holm Details über den Ablauf des Wahlabends besprechen. Es folgen Anrufe weiterer Pressevertreter. „Das kommt jetzt häufig vor“, erklärt der gebürtige Schweriner, der vor seiner Spitzenkandidatur für die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch gearbeitet hatte. Holm hat seine Berufserfahrung in vielen Branchen gesammelt. Vor der Wende absolvierte er eine Lehre zum Elektromonteur. Danach studierte er an der Berliner Humboldt-Universität Volkswirtschaft. Und jobbte nebenher als Diskjockey und Radiomoderator. Letzteres zunächst bei Radio Mecklenburg-Vorpommern, dann beim NDR. Zuletzt war er für Antenne MV tätig.

„Politisch interessiert war ich schon immer“, betont der Mann, der zuvor keiner anderen Partei angehört hatte. „Aber richtig zu engagieren begann ich mich erst 2012 im Zuge der Eurokrise.“ Kreise um den ehemaligen AfD-Bundesvorsitzenden Bernd Lucke gründeten da gerade die Wahlalternative 2013, aus deren Netzwerken später die Alternative für Deutschland hervorgehen sollte. 

„Als Ökonom trieb mich das Thema um.“ Inzwischen sind es eine Fülle weiterer Themen, mit denen er sich als Spitzenkandidat auseinandersetzt. Zuwanderungskrise, die Folgen der Energiewende, die Bildungspolitik oder die Innere Sicherheit sind einige davon, zu denen er auch auf der Podiumsdiskussion der IHK Neubrandenburg Stellung beziehen muß. Wenige Autominuten vor dem Veranstaltungsort tippt er nochmal die Nummer der Geschäftsstelle auf dem Display. „Wer sitzt da eigentlich noch mit auf dem Podium?“ will er wissen.

Geladen sind die regionalen Wahlkreiskandidaten in Neubrandenburg. Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider für die SPD, Ex-SED-Mann und Stasi-IM Torsten Koplin für die Linkspartei sowie David Wulff (FDP) und Claudia Müller (Grüne). Leif-Erik Holm ist als einziger von außerhalb geladen. Eine heikle Situation. „Bei kommunalen Themen habe ich es da schwer.“ 

Doch die Diskussion verläuft fair. Aber auch dröge. „Groß gekloppt ham’ se sich ja nich’ gerade“, merkt ein älterer Zuhörer in breiter norddeutscher Mundart nach der Veranstaltung ebenso trocken wie treffend an. Doch Holm kann punkten, bläst beim Thema Energiewende zum Sturm auf die Windräder, durch die der Strom unnötig teurer werde. Eine Position, mit der er für seine Partei ebenso ein Alleinstellungsmerkmal aufweisen kann wie bei der Zuwanderungskrise. 

Der Wahlkampfalltag auf der Straße ist hingegen rauher. „Auch wir haben mit Beschädigungen unserer Wahlplakate zu kämpfen“, schildert Holm Störaktionen der linksextremen Antifa. „In den ländlichen Gebieten Vorpommerns hält sich das in Grenzen, aber in Rostock gibt es Probleme.“

Besonders skurril ist dabei der Vorfall um die Grünen-Landtagskandidatin Isabelle Pejic, die gemeinsam mit einer Komplizin nachts von der Polizei beim Abreißen eines CDU-Plakats erwischt wurde. Die 26jährige, gegen die nun ein Ermittlungsverfahren läuft, begründet die Sache damit, daß das Plakat Radfahrer behindert habe. Statt die CDU darüber zu informieren, hatte sie es vorgezogen, selbst Hand anzulegen. Nachts. 

„Wer glaubt denn noch an den Weihnachtsmann?“

Wie stark die Grünen mit der Antifa kooperieren, wird auch beim Auftritt des umstrittenen Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke in Schwerin deutlich. Seite an Seite stehen die Linksextremisten mit der Grünen-Landtagsfraktion am Rande des Marktplatzes. Sie haben Schirme in Regenbogenfarben aufgespannt und Trillerpfeifen im Mund, pöbeln hinter Transparenten verschanzt gegen die AfD. 

Doch auch auf der AfD-Veranstaltung haben sich zwielichtige Gestalten aus dem rechtsextremen Milieu sowie Putin-Anhänger aus dem Umfeld Jürgen Elsässers eingefunden. „Die gehören nicht zu uns“, versichert Wahlkampfkoordinator Jens Schneider auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT. Sie tragen zumeist dunkle Sonnenbrillen. Ihre Köpfe sind kahl rasiert, die Körper mit martialischen Tätowierungen übersät. „Haut ab, haut ab“, grölen sie in Richtung Antifa. Die Anwesenheit der Radikalen bringt Holm in Erklärungsnöte. „Hier sind heute viele Leute aus dem NPD-Umfeld. Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen AfD und NPD?“ wird der Spitzenkandidat von einem hämisch grinsenden Interviewer des NDR gefragt. Holm verneint, eine Zusammenarbeit mit Extremisten werde es für die AfD nicht geben. 

Zwei Männer um die Sechzig halten ein „Ami go home“-Transparent in die Höhe, auf dessen Rückseite die russischen Nationalfarben aufgemalt und „Stopp Kriegstreiberei gegen Rußland“ steht. Wer sie sind oder wen sie vertreten, wollen sie nicht sagen. Das professionell gefertigte Transparent hätten sie selbst gebaut. Der AfD wollen sie ihre Erststimme geben. Die Zweitstimme soll an Linkspartei oder NPD gehen. „Die Linke und die AfD sind zu 80 Prozent identisch“, ist einer der beiden überzeugt. 

Leif-Erik Holm betritt die Wahlkampfbühne, einen mit einer Plane überzogenen Anhänger. Er redet jetzt offensiver, wird lauter, schaltet in den Wahlkampfmodus. „Die Altparteien betreiben inländerfeindliche Politik“, kommt nun von ihm. „Wir wollen keine Vollverschleierung.“ Zum jüngsten Forderungskatalog der CDU-Innenminister meint er: „Wer glaubt denn noch an den Weihnachtsmann? Ich nicht.“ 

Dann redet Höcke, der als „Mahatma Gandhi der AfD“ angekündigt wird. Die Kollegen der AfD in Schwerin hätten ihn „an die Kette gelegt“, beklagt er sich, daß er „nur“ zur Bildungspolitik reden solle. Markige Sprüche klopft er dennoch, spricht von „Schluffi-Lehrern“, „Zeitgeist-Kastraten“ der CDU und nennt Merkel eine „Trulla aus der Uckermark.“ 

Etwas gediegener geht es im Schweriner Amedia Hotel zu, in dem wenige Tage später Tschechiens Ex-Staatschef Václav Klaus als Gastredner auftritt. Der 75jährige ist ein Mann der leisen, aber bestimmten Töne. Der Tagungssaal ist bis auf den letzten Platz belegt, es ist heiß und stickig. Seine Zuhörer stört das nicht. Wie gebannt hängen sie an den Lippen des Staatsmannes und Verteidigers der Benesch-Dekrete, der zu Kommunismus-Zeiten das Privileg genoß, Außenhandelsökonomie studieren zu dürfen. 

Klaus schimpft auf den Westen und westliche Berater, kritisiert die deutsche Einheit, die „schlecht gemacht“ sei und von der der Osten seiner Auffassung nach nicht profitiert habe. Musik in den Ohren der AfD-Anhänger, die laut applaudieren. 

Holm und Klaus sitzen in kleinen Sesseln auf der Bühne. Immer wieder liefern sie sich kleine Streitgespräche. Und der alte Mann, der zu Beginn noch ankündigte, keine Ratschläge geben zu wollen, fordert immer wieder eindringlich: „Lehnen Sie die Massenimmigration ab, sonst werden Sie nicht gewinnen.“ Eine Aufforderung, die die Zuhörer nur allzu gern vernehmen.