© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Es bleibt in der Familie
Nicaragua: Präsident Ortega will seine Gattin zur Vizepräsidentin machen / Zurück zur Clanherrschaft
Lukas Noll

Eigentlich wollte Daniel Ortega als ein Mann in die Geschichte eingehen, der sein Land aus den Händen eines Familienclans befreit hat: 1979 leitete Ortega als Teil der Sandinistischen Befreiungsfront den Sturz des Somoza-Clans ein, der Nicaragua seit 1934 diktatorisch regiert hatte. 

Nun werfen seine Gegner dem Linkspolitiker ausgerechnet vor, eine autokratische Familiendynastie aufzubauen. Die Steilvorlage dafür liefert Ortega selbst: Daß sich der 70jährige im November erneut zur Wahl stellen würde, ist zwar keine Überraschung, seit Ortega wie einige linke Präsidenten in Lateinamerika die Amtszeitenbegrenzung abgeschafft hat. Mehr Gesprächsstoff liefert da schon die Vizepräsidentin, mit der er ins Rennen geht: Es ist seine Ehefrau Rosario Murillo, die den bisherigen Stellvertreter Moises Omar Halleslevens Acevedo ablösen soll. 

Trotz Luxusleben beim Volk beliebt  

Die gemeinsame Kandidatur hat Ortega Anfang August persönlich mit seiner Gattin beim Obersten Wahlrat (CSE) des Landes eingereicht – ein Gremium, das für die konservative Opposition bereits in sich eine Farce darstellt, seit Ortega es wie auch Nicaraguas Obersten Gerichtshof unter seine Kontrolle gebracht hat. Hinzu kommt, daß Murillo nicht das einzige Familienmitglied in Ortegas Regierung ist: Sohn Rafael Ortega ist seit letztem Jahr Minister, sein Bruder Laureano ist für den Bau des Nicaragua-Kanals zuständig, und die Ortega-Töchter Camila und Luciana fungieren als Regierungsberaterinnen.

Auch Gattin Murillo war in dem mittelamerikanischen Land bislang nicht nur die Frau an der Seite des „Comandante“. Die 65jährige fungiert seit Jahren als Regierungssprecherin und ist als „Regierungsministerin“ eine einflußreiche Strippenzieherin im Kabinett ihres Mannes. „In Nicaraguas öffentlicher Verwaltung läuft ohne den Segen der sogenannten „Kameradin Rosario“ überhaupt nichts“, stellte die spanische Tageszeitung El País jüngst ernüchtert fest. Vielen Nicaraguanern ist die First Lady darüber hinaus auch als Dichterin mit einem Hang zur revolutionären Romantik und Esoterik bekannt. Bereits seit 1978 ist sie die Frau an Ortegas Seite und war mit diesem ab den sechziger Jahren in der sozialistischen FSLN-Guerilla aktiv. 

Eine aktuelle Umfrage des Instituts M&R Consultores sieht die zehnfache Mutter in den Beliebtheitswerten noch vor ihrem Gatten. Kein Wunder: In den staatlichen Nachrichtenmedien hat Nicaraguas „Primera Dama“ trotz ihres vergleichsweise rangniedrigen Postens innerhalb der Regierung einen festen Sendeplatz sicher.

Daß sich Murillo trotz des luxuriösen Lebensstils der Familie ihren Ruf als Aktivistin der Armen bewahrt hat, rundet den Vergleich zu Evita Perón ab, der weltbekannten Ehefrau des argentinischen Potentaten Juan Domingo Perón. Evita fungierte dort von 1946 bis 1952 als First Lady und nahm dabei eine so integrale Rolle ein, daß sie von den Argentiniern bis heute beinahe religiös verehrt wird. Wie Murillo strebte auch Evita das Vizepräsidentenamt unter ihrem Mann an – Perón wollte ihre Kandidatur allerdings nicht gegen den Widerstand der konservativen Eliten durchsetzen.

Immerhin das dürfte Murillo von ihrem Gatten nicht zu befürchten haben. Ortega begründet die Wahl seines „Running Mates“ nämlich mit der Gleichheit der Geschlechter. Es stehe außer Frage, daß eine Frau Kandidatin für das zweithöchste Amt im Staat sein müsse, sagte Ortega laut der Nachrichtenagentur Reuters. „Und wer eignet sich da besser als der Partner, der schon getestet wurde und sich als sehr effizient und diszipliniert erwiesen hat?“  Auch Murillo selbst untermauerte ihre Kandidatur feministisch: „Wir Frauen sind Kämpferinnen. Wir streben danach, daß Frauen Führungspositionen einnehmen“, erklärte sie in einer ihrer täglich im Staatsfernsehen übertragenen Reden.

Echte Konkurrenz hat das Paar nicht zu fürchten  

Verblüffend ähnlich äußerten sich Vertreter der katholischen Kirche des Landes. „Ich glaube, daß sie ihm als Frau sehr nahesteht und nicht zuletzt sie es ist, die die Umfragewerte auf hohem Niveau hält. Nicaragua zeigt auf diesem Wege, daß es die Frauen unterstützt“, erklärte Kardinal Leopoldo Brenes, der Erzbischof von Nicaraguas Hauptstadt Managua. Die Kirche werde die neue Vizepräsidentin daher so respektieren wie jedwede andere Kandidatin auch.

Der kirchliche Segen für den linken Ex-Guerillero ist kein Zufall in dem zentralamerikanischen Land – und rührt nicht nur aus dem kirchlichen Ja-Wort, das sich Ortega und Murillo 2005 nach fast dreißig Jahren Partnerschaft gegeben haben. Der „Comandante“ ist für die Kirche auch ein Garant der konsequenten Lebensschutzgesetze in Nicaragua. Nachdem Ortega 2004 um Vergebung für zurückliegende Bürgerkriegsvergehen gegen die Kirche gebeten hatte, stimmten seine Sandinisten trotz innerparteilichen Widerstands für das totale Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Das war der Beginn eines eher seltenen Burgfriedens zwischen der politischen Linken und der in Lateinamerika wirkmächtigen katholischen Kirche – und plötzlicher Kampfansagen von seiten linksgerichteter Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen.

Genau spiegelverkehrt scheint nicht nur deshalb das Verhältnis einiger ehemaliger Weggefährten zur Ortega-Regierung. „Alles, was Ortega seit 2007 geschafft hat, ist es, alle Macht des Landes anzuhäufen“, kritisiert Dora María Téllez, die Ortega als Guerilla-Kommandantin gegen die Somoza-Diktatur unterstützte. Nun sieht sich Téllez erneut im Kampf gegen eine Clanherrschaft: „In Nicaragua waren Diktaturen nie militärisch, sondern familiär.“ Auch die linke Aktivistin Gioconda Belli sieht in ihrer Heimat die „systematische Zerstörung der demokratischen Errungenschaften der vergangenen beiden Jahrzehnte“ am Werk.

Da paßt es ins Bild, daß internationale Wahlbeobachter nicht zugelassen werden sollen, wenn sich das Ehepaar Ortega-Murillo im November nun auch vom Volk trauen lassen will. Zuletzt waren bei den Präsidentschaftswahlen 2011 von seiten der „Organisation Amerikanischer Staaten“ grobe Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Echte Konkurrenz hätte das Ehepaar wohl aber auch bei freien Wahlen nicht zu befürchten: Umfragen sehen Ortega bei über sechzig Prozent Zustimmung, die Opposition gilt als heillos zerstritten. Sicher muß im sozialistischen Nicaragua aber trotzdem sicher sein: Nachdem sich 28 Oppositionsabgeordnete Ende Juli aus Protest gegen ihren Parteichef für parteilos erklärten, wurde den Abgeordneten gleich ganz ihr Sitz in der Asamblea Nacional gestrichen – verantwortlich zeichnete Ortegas Oberster Wahlrat.