© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Interviewanfrage einer größeren Regionalzeitung anläßlich des Todes von Ernst Nolte endete wie erwartet: Der Text wurde nicht gebracht. Was mag es gewesen sein, das in der „Diskussion“ der Redakteure den Ausschlag gab: Der Hinweis darauf, daß Nolte mit seinen Thesen im „Historikerstreit“ recht hatte und seine Gegner unrecht? Die Bemerkung, daß das Gerede über die Schuld der Deutschen immer politisch instrumentalisierbar sei und der Zwang zur Dauererinnerung inhuman? Die Ergänzung, daß auch der Bundespräsident so argumentiert habe, bevor er Bundespräsident wurde? Oder die Zurückweisung der Annahme, daß Nolte als „Vordenker der AfD“ in Frage komme?

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Subtext A: Man sollte eine Untersuchung über die verschobene Wertung von Selbstjustiz im populären Krimi durchführen. Verdammung wird seltener, Verständnis häufiger. Das Ergebnis könnte aufschlußreich sein für den Mentalitätswandel, der vorgeht.

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„Denn das ist ja das Besondere und welthistorisch so Bedeutsame der Oberschicht, die wir ‘Adel’ nennen, daß sie in ihrer Selbstbenennung wie in ihren Idealen aus den möglichen sozialen Ausleseprinzipien der Geschichte – Reichtum, Schlagkraft, Schlauheit, Fleiß, Fanatismus, physische Stärke, Zähigkeit und so fort – sich just diese eine Qualität zum Maß-gebenden Zielbild erkoren hat: das Edle.“ (Otto Höfler)

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Was der Leser im Lauf seines Lebens verliert, ist die Freude an der Wiederholung der Lektüre, und damit die seltsame Spannung angesichts der Erwartung, daß die Geschichte dieses Mal anders ausgeht. Mir ist noch in Erinnerung, wie ich im „Schwab“ wieder und wieder vom Entschluß des Patroklos las, in der Rüstung seines Freundes Achill in die Schlacht zu ziehen, und wie inständig ich hoffte, daß er nicht fallen, Achill keinen Anlaß zur Rache haben und den Leichnam Hektors nicht schänden werde.

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Subtext B: Der Reiz der Kriminalromane Malla Nunns liegt in dem Schauplatz des Geschehens, dem Südafrika der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Apartheid ist durchgesetzt, die Nationalpartei hat die Rassengesetze etabliert. Das alles wäre bestens geeignet für den permanent erhobenen moralischen Zeigefinger. Aber davon ist Nunn weit entfernt. Stattdessen arbeiten Inspektor Cooper – ein Mann zweifelhafter ethnischer Herkunft – und sein Constable Shabalala – der Shangani in ihm spürt alles auf, der Zulu erlegt alles – in einer ebenso autoritären wie chaotischen multikulturellen Gesellschaft, deren einzelne Gruppen sich, wenn nicht gezwungenermaßen, dann doch freiwillig separieren. Jede behandelt jede mit Mißtrauen und mehr oder minder großer Verachtung, wobei die Weißen, die Schwarzen, die Farbigen, die Mischlinge höchstens im Notfall eine geschlossene Einheit bilden, sonst stehen Buren gegen Engländer, Kraal gegen Kraal, Inder gegen Chinesen und diejenigen, die sich wegen ihrer helleren Haut in der Rassenhierarchie nach oben schummeln können, gegen die, die wegen ihrer dunklen unten bleiben müssen. Zum Charme des Ganzen gehört sicher auch, daß Malla Nunn aus der bei ihrer Geburt noch verbotenen Beziehung zwischen einem Weißen und einer Schwarzen stammt und stolz berichtet, daß für sie bei Eheschließung in ihrer Heimat Swasiland der traditionelle Brautpreis in Rindern gezahlt wurde.

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„Ich glaube an das Christentum, wie ich an den Aufgang der Sonne glaube.“ (C. S. Lewis)

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Bildungsbericht in loser Folge XCII: Der Landesschülerrat Mecklenburg-Vorpommern hat die Inflation von Bestnoten in Abschlußzeugnissen bei gleichzeitig sinkendem Anforderungsniveau beklagt.

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Eine gewisse Übung vorausgesetzt, können auch händchenhaltende Paare die Wischfunktion ihrer Smartphones nutzen. Der versonnene Blick hat dann aber weniger mit dem Gemütszustand zu tun.

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Subtext C: Es gehört sicher zu den Ausnahmen des Genres, daß ein Geschwisterpaar – er Lehrer, sie Krankenschwester – zusammen Bücher schreibt. Lotte und Søren Hammer haben sich aber mittlerweile einen gewissen Ruf erworben; neue Sterne am skandinavischen Himmel des Kriminalromans. Selbstverständlich hängt der Erfolg ihrer Bücher in erster Linie ab vom gekonnten Umgang mit der Erzählung über Mord und Totschlag. Aber in dem dritten Band der Reihe um den Kopenhagener Kommissar Konrad Simonsen geht es auch um die späten sechziger Jahre, die Jugendrevolte, die Hippiebewegung und den Terrorismus. Dabei gelingen den Autoren einige bemerkenswerte Schilderungen der Atmosphäre mit ihrer angestrengten Ausgelassenheit und dem unterschwelligen Nihilismus. Was vor allem überrascht, ist die eindeutige – eindeutig negative – Wertung dessen, was damals gedacht und getan wurde.