© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Flüssiges Brot
Geheiligter Dreiklang: Die große bayerische Landesausstellung präsentiert die Zusammengehörigkeit von Bayern, Bier und Reinheitsgebot
Felix Dirsch

Wer den Anfahrtsweg durch die niederbayerische Provinz auf sich nimmt, wird im Kloster Aldersbach, im Passauer Land, in diesem Jahr reich belohnt: Die Ausstellung „Bier in Bayern“, veranstaltet vom „Haus der bayerischen Geschichte“, beleuchtet einen Mythos: nämlich den vom „Bierland Bayern“, der (ungeachtet des Rückgangs des Bierkonsums in den letzten Jahrzehnten vornehmlich aus gesundheitlichen Gründen) immer noch seine Gültigkeit behält, ist der durchschnittliche Verbrauch doch auch heute größer als in anderen Teilen Deutschlands. Freilich war die Identität dieses Landes nicht immer vom kostbaren Naß geprägt. Bis ins 17. Jahrhundert hinein sprach man eher vom „Weinland Bayern“. Insbesondere Kriege und Witterungsverhältnisse sorgten für eine nachhaltige Veränderung. Ein Getränk begann, Münder und Herzen der Menschen zu erobern.

Bereits am Eingang erfährt der Besucher, was er ohnehin weiß: Die bayerische Volksseele ist ohne Bier nicht verständlich. Gambrinus fungiert als legendärer Erfinder des Bierbrauens, und die Landesmutter Bavaria ist nur im Dunstkreis dieses Getränks vorstellbar.

Zu den Schwerpunkten der Darbietung zählt die technische Herstellung des Bieres: vom Maischen über Läutern, also das Filtern des Wasser-Malz-Gemisches, bis hin zum Kühlen. Auch die bis weit ins 20. Jahrhundert harten Arbeitsbedingungen in Brauereien werden nicht ausgespart. Jeder Besucher ist fasziniert von den großen Bottichen im Sudhaus, in denen gekocht, geläutert, filtriert und gewürzt wird. Das Modell einer altdeutschen Brauerei des späten 17. Jahrhunderts erlaubt es, die komplexen Arbeitsvorgänge vorzüglich darzustellen.

Zudem gewährt die Schau Einblick in unterschiedliche Berufe, die bei der Herstellung zusammenwirken müssen, und sie gibt Hinweise auf die zahllosen Brauereien, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten stetig abnimmt. Ebenso zentral ist ein in einer Vitrine präsentiertes Schriftstück: die bayerische Landesordnung von 1516. Obwohl es vorher schon unterschiedliche Vorschriften zur Qualitätssicherung gab, fordert der Text, daß „allain Gersten, hopffen vnd wasser genomen vnnd gepraucht sölle werden“. Das Reinheitsgebot findet hier seinen sachlichen locus classicus, wenngleich der Begriff erst im frühen 20. Jahrhundert in Umlauf kommt. Es behält bis heute seinen guten Ruf. Selbst der EG-Vereinheitlichungswahn, der dafür verantwortlich ist, daß auch Getränke mit anderen Zusätzen als den bewährten unter der Bezeichnung „Bier“ in Bayern verkauft werden können, war nicht in der Lage, das herkömmliche Gütesiegel nachhaltig zu beschädigen. 

Natürlich fehlen auch Blicke auf die vielfältigen kulturellen Auswirkungen nicht. Die Wirtshäuser nahmen im 19. Jahrhundert einen rapiden Aufschwung. Sie wurden Orte der Geselligkeit und des Austausches vornehmlich des männlichen Bevölkerungsteils. Schattenseiten dieser Entwicklung sind ebenfalls evident: Raufereien, Trunksucht und sexuelle Zudringlichkeiten gegenüber Kellnerinnen waren verbreitet. Die Wirtshäuser behielten ihre Bedeutung als Treffpunkt (neben der Kirche) und als eine der wenigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, insbesondere auf dem Land, als man im frühen 20. Jahrhundert das „flüssige Brot“ mehr und mehr in Flaschen abpackte und dieses somit leicht nach Hause mitgenommen werden konnte. Deutlich stärker einschneidend sind seit den 1970er Jahren die gewandelten Mobilitäten sowie neue Konsum-, Lebens- und Kommunikationsformen, die ein auffallendes Wirtshaussterben zur Folge haben. 

Auch die Herstellung des Bieres unterliegt Veränderungen. Produktpiraterie existierte bereits im vorletzten Jahrhundert. Gabriel Sedlmayr, Eigentümer der Spaten-Brauerei, reiste mit einer Gesandtschaft nach England und erwarb offizielles wie inoffizielles Wissen zur Verbesserung des Brauvorganges, etwa zur exakteren Bestimmung der Würze. Qualitätssteigerungen waren dadurch, aber auch aufgrund anderer Innovationen, möglich, die immer genauere Messungen erlaubten.

Wer auch nur gelegentlich an der reichen Wirtshaus- und Festkultur des Freistaates teilnimmt, kennt die „Schützenliesl“. Coletta Buchner, die mit ihrem Gatten mehrere Münchner Gastwirtschaften führte, war Vorbild für den Komponisten Gerhard Winkler, der das schmissige Lied geschaffen hat. Ihr zur Seite gestellt wird der muskelbepackte Wirt Hans Steyrer, besser bekannt als „Steyrer Hans“, der mit dem bloßen Mittelfinger ein Gewicht von immerhin 264 Kilogramm stemmen konnte.

Am Ende der Präsentation findet sich ein interessanter Rekurs bezüglich der Wirkungen der Bierkultur auf Malerei und Film, darunter auf die in den 1970er Jahren gern verfolgte Fernsehserie „Königliches Bayerisches Amtsgericht“, die auf Texte des jüngst verstorbenen Schriftstellers Georg Lohmeier zurückgeht. In ihrem Vorspann macht der Sprecher auch auf die Rolle des Bieres im Königreich Bayern vor 1914 aufmerksam.

Zwar gibt es fast jedes Jahr eine bayerische Landesausstellung, die einen Besuch lohnt. Keine jedoch hat in den letzten Jahren so tief in die Seele der Bajuwaren geblickt wie die des Jahres 2016.


Die Landesausstellung „Bier in Bayern“ ist bis 30. Oktober im Kloster Aldersbach, Freiherr-von-Aretin-Platz, täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Kartentelefon: 08 21 / 32 95-0

 www.landesausstellung-bier.de