© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Google zeigt den Weg ins dunkle Netz
Darknet: Der verschlüsselte Teil des Internets gerät durch den Münchner Amoklauf ins Zwielicht
Ronald Berthold

Mit einer Glock 17 kann jedermann Menschen töten. Doch woher bekommt ein Täter eine solche Pistole, wenn er einen Mord plant? Was früher persönliche Kontakte ins Milieu voraussetzte, geht heute ganz einfach, vor allem komplett heimlich und außerhalb des Blicks von Ermittlern über das Internet. Genauer gesagt: über das Darknet – die dunkle Schwester des normalen Webs, das die meisten Deutschen kennen. Ali Sonboly besorgte sich eben jene Waffe und die Munittion dazu im Darknet, bevor er neun Menschen tötete und 36 verletzte. 

Der 18jährige machte am 22. Juli Schlagzeilen, als er in München Amok lief, wahllos mit seiner Glock 17 auf Passanten schoß und schließlich sich selbst tötete. Als vergangene Woche der mutmaßliche Waffenhändler, ein 31jähriger aus Marburg, festgenommen wurde, geriet wieder ins Bewußtsein, was im Darknet los ist und was die Polizei meist völlig ahnungslos zurückläßt, ohne daß sie die Hintergründe aufklären kann.

Auf dem Schwarzmarkt im Internet können sich Kriminelle alles beschaffen, was sie für ihre Taten benötigen: Neben Schuß- und unerlaubten Hieb- sowie Stichwaffen gehören dazu Auftragsmörder, Sprengstoff und Rauschgift. Ali Sonboly war hier fündig geworden, kurz bevor er seinen Massenmord verübte.

Alles, was dort passiert, ist über mehrere Server verschlüsselt, so daß sich Verbrecher im Darknet absolut sicher fühlen können. Im Schutz der virtuellen Anonymität bezahlt niemand mit Euro oder Dollar. Rechnungen werden mit der Internetwährung Bitcoin bezahlt. Selbst die Übergabe erfolgt oft absolut unerkannt; Käufer und Verkäufer lernen sich – anders als im Fall Ali Sonboly – meist nie persönlich kennen. Der Deutsch-Iraner indes holte sich seine Pistole direkt beim Verkäufer ab.

Wie funktioniert das Darknet, wo doch selbst Google die dunklen Kaufhäuser nicht ausspuckt, selbst wenn der Nutzer ausdrücklich nach ihnen sucht? Grundvoraussetzung ist die Verschlüsselungssoftware „Tor“, die einst von der US-Navy entwickelt wurde, um abhörsicher im weltweiten Netz kommunizieren zu können. Heute kann diese Software jeder problemlos herunterladen. Wer „Tor“ nutzt, braucht keinen üblichen Browser wie den „Internet Explorer“, „Google Chrome“ oder den „Mozilla Firefox“. 

Das Programm „Tor“ verwendet einen eigenen Browser. Der Nutzer surft dann über verschiedene Server im Ausland. Meist wissen deren Eigentümer nicht einmal etwas davon, daß ihre IP-Adresse mißbraucht wird.

Daher ist es für Ermittler fast unmöglich, die illegalen Deals der tatsächlich und nicht nur der vermeintlich Beteiligten zurückzuverfolgen. Sowohl die Verkäufer als auch die Käufer können völlig unbehelligt ihren Geschäften nachgehen. Denn sie nutzen das Netz, ohne daß ihre wirklichen IP-Adressen Spuren hinterlassen.

Inzwischen hat aber auch die Kripo einen Weg gefunden, um solche Deals im Darknet aufzuklären. Im Fall des Münchner Amokläufers nutzte sie die Identität eines früheren Kunden, um einen Kontakt zum Waffenhändler anzubahnen. Der fiel auf den Trick herein. Offenbar war der Arbeitslose auch unvorsichtiger als viele seiner „Kollegen“. Persönliches Erscheinen bei solchen Geschäften gilt unter Profis als absolutes Tabu. Warum ein Risiko eingehen, wenn auch alles über Geheimkanäle läuft? Der 31jährige Marburger war ein Amateur.

Doch wie stößt ein 18jähriger Schüler auf das dunkle Netz? Blogger im normalen Web, die auch Google listet, erklären genau, wie Internetnutzer sich dort risikolos bewegen. Und Videos auf Youtube zeigen, wie der Käufer den Schwarzmarkt findet und nichts falsch macht, um dort unerkannt zu bleiben. 

Das Darknet wird auch von Oppositionellen genutzt

Auch wenn das Darknet nicht zu Unrecht in die Negativschlagzeilen gerät, hat es durchaus auch seine gute Seite. In Diktaturen kommunizieren und informieren sich Dissidenten über das geheime Netz. Inzwischen wird es auch in einer vermeintlichen Demokratie wie der Türkei zunehmend genutzt, um den Häschern von Präsident Erdogan zu entgehen. Viele Regime-Kritiker surfen über die Verschlüsselungs-Software. Durch die bei „Tor“ zwischengeschalteten Server läuft das Internet zwar deutlich langsamer, aber es ist sicher.

Auch in Deutschland nutzen Betreiber von rufschädigenden und linksextremen Internetseiten „Tor“. Wer einen Nachbarn, politischen Gegner oder seinen Chef ungestraft im normalen Internet – nicht im Darknet – an den Pranger stellen möchte, nutzt die Verschlüsselungssoftware.

Auch die Urheber von Gewaltaufrufen und Bekennerschreiben auf der linken Plattform „Indymedia“ oder „Linksunten“ sind daher für Kriminalisten kaum nachzuverfolgen. Daß solche Posts nicht aus sozialen Netzwerken gelöscht werden, steht auf einem anderen Blatt und ist meist politisch gewollt. Der Kampf gegen tatsächliche und vermeintliche „Haßsprache“ der Bundesregierung ist einseitig ausgerichtet. Die Beschuldigten haben bei ihren Meinungsäußerungen meist sogar ein gutes Gewissen und nutzen nie das Darknet.