© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Ohne einen Willen zum Sieg
Bundeswehr in Afghanistan: Philipp Münchs Bestandsaufnahme einer deutschen Intervention
Peter Seidel

Die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan haben sich gut geschlagen. Peter Scholl-Latour nannte sie einmal „eine vorzügliche Truppe“. Der Mißerfolg der Afghanistan-Expedition hat andere Ursachen: Die Bundesregierungen hatten kein strategisches Ziel und die höhere Militärbürokratie nicht den Mut zur Kritik. Beide wollten vor allem mitmachen: zur Unterstützung der USA, in der Nato, bei der Durchführung eines internationalen Einsatzes.

Dies ist knapp formuliert das Ergebnis einer beachtlichen Studie, die Philipp Münch zur „militärischen Handlungslogik in internationalen Interventionen“ am Beispiel der deutschen Bundeswehr vorgelegt hat und die vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegeben wurde. Da sie als Dissertation entstand, ist dies keine kurzweilige Lektüre, bringt jedoch zahlreiche wertvolle und sehr aufschlußreiche Erkenntnisse. Dazu gehört vor allem der mutig herausgearbeitete Gegensatz zwischen „Bürokraten und Kriegern“ (III. Kapitel), der schließlich im IX. Kapitel folgerichtig mit dem Thema „Bürokratisierung der Welt“ endet.

Ohne einstige Vorteile deutscher Truppenführung

Für die USA gelten teilweise andere Bedingungen, aber für europäische Nato-Mitglieder hält Münch zu Recht fest, daß diese für längere Militärinterventionen gerade in fremden Kulturkreisen mehr oder weniger ungeeignet seien. Dies liege auch an illusorischen westlichen Vorstellungen von „nation bzw. state building“ oder „Friedensstiftung“, die von der Politik gern als Ziel angegeben würden. Ganz besonders gelte dies für den Einsatz der Bundeswehr.

Auffallend ist dabei Münchs immer wieder artikulierte Kritik am aktuellen Zustand der Truppe, die deutlich zeigt, daß viele einstige Vorteile deutscher Truppenführung inzwischen weitgehend verlorengegangen sind. Der Ruin der berühmten Auftragstaktik, die Behinderung der Initiative, ein gesteigertes Absicherungsverhalten, das Fehlen klarer Hierarchien und Verantwortlichkeiten und der massive Einsatz von Juristen im Feld gleichsam als „Politkommissare“ zeugen von der Vernachlässigung bewährter Traditionen. 

Afghanische Geschichten: Das bekannteste Ereignis ist der Zwischenfall von Kunduz 2009. Taliban hatten zwei Tankwagen erbeutet, konnten diese aber nicht rechtzeitig fortbringen. Als Unterstützung forderte ein deutscher Oberst amerikanische Kampfflugzeuge an, die die steckengebliebenen Tankwagen Stunden später mit Bomben belegten. Durch den Zeitverzug waren die Talibanführer längst über alle Berge, der Angriff traf auch Zivilisten. Nun kann man durchaus fragen, warum hier „mit Kanonen auf Spatzen“ geschossen wurde, entscheidend war aber, daß der Zwischenfall drei Wochen vor einer Bundestagswahl stattfand und die Politik Angst vor dem Hochspielen des Einsatzes hatte. Der Oberst wurde in Deutschland strafrechtlich verfolgt, später jedoch freigesprochen. Allerdings spielte „Kunduz“ dann im Wahlkampf keine Rolle, nach Zahlen des ARD-Deutschlandtrends „habe die Zustimmung für den Einsatz unmittelbar nach dem Luftschlag sogar zugenommen“, wie Münch vermerkt.

Weniger bekannt ist das Gefecht von Shababuddin im Folgejahr, einem der kriegerischsten für die Bundeswehr aufgrund zunehmend aggressiver Angriffe der Taliban. Als der deutsche Kommandeur „einen Luftschlag anforderte“, lehnten der Fliegeroffizier „sowie die daraufhin kontaktierte Rechtsberaterin“ ab, weil „ein Gebäude in der Nähe sei“. Und beim „Hinterhalt am Karfreitag“ 2010 kam es zu Verlusten und Kritik der gegängelten Truppe: „Die Ereignisse vom Karfreitag bewirkten leider nicht die von der Kompanie erhoffte Reaktion eines umfassenden Gegenschlags.“ Es sei „sehr frustrierend für die Truppe im Kampf, die da auch richtigerweise siegen will“. Hintergrund war auch hier, „daß die höchsten politischen Entscheidungsträger weiter befürchteten, durch zu viel Gewalt an Legitimität zu verlieren“, dies aber eher in Deutschland als in Afghanistan!

Als Soziologe betrachtet Münch vor allem das Verhalten der beteiligten Akteure, also Bundesregierung, Ministerialbürokratie und Truppe. Gerade durch das Fehlen realistischer strategischer Ziele habe es auch kein feststehendes Gesamtinteresse an einer Zielerreichung, nur wechselseitige Rivalitäten unterschiedlicher Politik-, Verwaltungs- und Kommandoebenen gegeben. Angesichts zahlreicher unterschiedlicher Interessen der beteiligten Institutionen und Organisationen (Frieden, Bildung, Emanzipation, Entwicklung, Staatsaufbau usw.)sei der gesamte Einsatz in Afghanistan vielfach zerfasert und so zu oft nur symbolische Politik geblieben. Dies seien die Rahmenbedingungen, mit denen sich die Handelnden stärker herumschlagen müßten als mit den speziellen regionalen kulturellen Verhältnissen, einschließlich des zu bekämpfenden Gegners.

Das grundsätzliche Problem: eine bürokratische, auf Mittel statt auf strategische Ziele fokussierte Politik! Diese „auch innerstaatlich zu beobachtende Tendenz der Entpolitisierung“ gelte zunehmend auch für die internationalen Beziehungen, die damit immer mehr zu „Verwaltungsgegenständen“ würden, „vorangetrieben von den Interessen der beteiligten Institutionen und den Ereignissen, die sich ihnen in den Weg stellen“. Gerade angesichts wieder auflebender politischer Vorstellungen von „Ursachenbekämpfung“ bei internationalen Krisen wie auch der Masseneinwanderungswellen aus der dritten Welt läßt die von Münch geschilderte Praxis westlicher Interventionen für die Zukunft nichts Gutes erahnen.

Philipp Münch: Die Bundeswehr in Afghanistan. Militärische Handlungslogik in internationalen Interventionen. Rombach Verlag, Freiburg/Br. 2016, gebunden, 431 Seiten, 48 Euro