© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Umwelt
Gefahr aus der Steppe
Wolfgang Kaufmann

Am 29. August 1949 zündete die Sowjetunion ihre erste Atombombe. Ort des Geschehens war das Testgelände von Semipalatinsk in der ostkasachischen Steppe. Dem folgten bis 1989 weitere 495 Nuklearversuche im „Polygon“: 113 oberirdische und 383 in Bohrlöchern im Balaplan-Gebiet und am Berg Degelen. Erst kurz nach dem Putsch gegen Präsident Gorbatschow, am 29. August 1991 wurde die 18.000 Quadratkilometer große Anlage geschlossen. Allerdings ging von ihr weiter eine erhebliche Bedrohung aus – und zwar nicht nur für die Kasachen, die bis heute mit der Radioaktivität leben müssen, sondern auch für den Westen: Bei den Tests wurde nicht immer das gesamte spaltbare Material verdampft, etwa wenn der Versuch der Verbesserung der Sicherheit von Kernwaffen im Falle konventioneller Explosionen diente.

„Schmutzige Bomben“ sind einfache Sprengsätze, die radioaktives Material freisetzen

Deshalb befanden sich nach dem Abzug der Russen noch etwa 300 Kilogramm waffenfähiges Plutonium in den Stollen unter dem Degelen. Hieraus ließen sich theoretisch Atombomben bauen – oder praktisch „schmutzige Bomben“ – konventionelle Sprengsätze, die bei ihrer Explosion radioaktives Material freisetzen. Die Tunnelzugänge wurden 1996 hermetisch verschlossen. Plünderer mit schwerem Gerät schleppten dennoch Kupferkabel oder Stahlträger davon. Damit nicht islamistische Terroristen an das Plutonium gelangen, versuchten kasachische und US-Experten, das extrem giftige Schwermetall sicherzustellen. Dies gelang aber erst, nachdem Moskau unter dem Schock von 9/11 kooperierte. Rußland übernahm auch die Entsorgung, wobei aber nicht alles nukleare Material aus dem Berg geholt werden konnte. In manchen Fällen war nur eine Versiegelung mit Spezialbeton möglich, die 2012 zum Abschluß kam. Seither hoffen die Verantwortlichen, die Islamisten ausmanövriert zu haben – wieviel zuvor abhanden kam, weiß aber niemand.