© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Knapp daneben
Nur das Los sollte entscheiden
Karl Heinzen

Wäre die Welt rundum schlecht, hätte Christine Lüders ihre Leidenschaft nicht zum Beruf machen können. So darf sie sich an der Spitze der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) dafür einsetzen, daß das vor zehn Jahren in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) endlich Beachtung findet.

Ganz so einfach scheint das aber auch in einem Rechtsstaat nicht gelingen zu wollen. Knapp ein Drittel der „Menschen in Deutschland“ hat nämlich, wie eine von der ADS initiierte Umfrage ergab, in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erleiden müssen. Diese hohe Quote zeigt, daß wir von einer humanen Gesellschaft noch weit entfernt sind! Sie zeugt aber auch, und dies ist ein Lichtblick, von einem gewachsenen Problembewußtsein. Früher hätten Alte, Frauen, Ausländer, Behinderte und Schwule es einfach hingenommen, wenn man sie als solche bezeichnete und daraus, manchmal für sie unvorteilhafte, Schlußfolgerungen zog. Heute wissen sie, daß es nicht bloß fies, sondern auch unzulässig ist, benachteiligt zu werden, bloß weil man so ist, wie man ist.

Die meisten scheitern bei der Bewerbung um eine Stelle, weil Arbeitgeber ihr Können in Frage stellen.

Damit die Sensibilisierung in Veränderung mündet, ist aber noch einiges zu tun. Bislang müssen sich Betroffene gegen Diskriminierung juristisch zur Wehr setzen. Dazu fehlt es ihnen aber oft an Kompetenz und Courage. Die ADS regt daher an, daß auch Verbände ein Klagerecht erhalten. Dies dürfte jedoch kaum ausreichen. In unserem Land, das auf eine so lange Spitzel- und Denunziantentradition zurückblickt, müßte es doch möglich sein, daß alle Einwohner gemeinsam aufpassen und alles, was als Unrecht anzusehen sein könnte, anzeigen.

Zu prüfen ist ferner, ob das AGG nicht vor mehr Diskriminierungen Schutz bieten könnte. Die meisten Menschen scheitern bei der Bewerbung um eine Stelle oder dem Fortkommen im Beruf, weil Arbeitgeber ihr Können in Frage stellen. Ein derart anmaßendes Werturteil über andere steht aber niemandem zu. Das AGG könnte dieser Willkür ein Ende bereiten, indem es ausschließlich den Losentscheid bei der Stellenbesetzung für rechtmäßig erklärt.