© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Farbe, Steine, Brandsätze
AfD I: In den Umfragen steht die Partei gut da, doch ihre Wahlkämpfer in Berlin haben unter einer linksextremen Gewaltwelle zu leiden
Markus Schleusener

Markus Bolsch verläßt morgens das Haus. Er will zur Arbeit fahren. Sein roter Motorroller Marke Derbi ist von vorne bis hinten mit weißer Farbe übergossen. Später wird er bei Indymedia unter der Überschrift „Farbe für geistige Brandstifter“ in szenetypischer Kleinschreibung lesen: „außerdem wurde das moped vom bvv-kandidaten der afd charlottenburg-wilmersdorf großzügig mit lack überschüttet.“

Solche Erfahrungen machen derzeit viele Wahlkämpfer der AfD in Berlin. Sie werden bespritzt, beschimpft, angegriffen oder verleumdet. Plakate wurden in bislang ungekannter Dimension zerstört oder gestohlen. 

Diese Dinge ließen sich abtun als „Wahlkampf in rauher Umgebung“. Berlin ist eine rote Stadt, da gilt Toleranz nur für Gruppen links von der CDU. Aber in diesem Wahlkampf ist einiges anders. Zum einen bleibt es nicht mehr bei versuchten Einschüchterungen oder massenhaft abgerissenen Plakaten. 

Es wird brutaler. In der vergangenen Woche traf sich rund ein Dutzend AfD-Mitglieder im benachbarten Potsdam, um eine Tonaufnahme zu erstellen. In einem privaten Büro. Ohne öffentliche Ankündigung. Trotzdem bekam die Antifa Wind davon und demonstrierte mit mehreren Dutzend Leuten vor dem Grundstück, kippte Jauche vor die Tür.

Was dann geschah, bezeichnen Teilnehmer als Spießrutenlauf: Gerade mal 15 Polizisten erschienen, um den belagerten AfD-Mitgliedern einen sicheren Heimweg zu gewährleisten. Sie waren nicht Herr der Lage. Die Parteifreunde flüchteten in ein Fahrzeug, wurden aber sofort umringt von Gewalttätern, die Nagelbretter vor die Reifen legten, damit der Wagen nicht wegfahren konnte. Sie schütteten eine durchsichtige Flüssigkeit über der Windschutzscheibe aus und drohten damit, ihn anzuzünden. Die Insassen des Wagens bekamen Angst. „Wir hatten richtig Panik“, sagt einer, der dabei war.

Diese jüngste Gewaltwelle begann im Februar mit einem Angriff gegen das Kreuzberger Lokal Stadtklause, in dem sich 2014 einmal eine AfD-Gruppe getroffen hatte. Mit anderthalb Jahren Verspätung kam nun die Vergeltung von linksaußen: Nachts wurde ein Loch ins Fenster geschlagen und schwarze Farbe auf die Holzvertäfelung gespritzt. „Wer Strukturen für faschistische Organisationen stellt, muß mit Angriffen rechnen“, verkündeten die Täter danach bei Indymedia.

Das war der Auftakt für eine Serie von Angriffen auf Gastronomiebetriebe, was zur Folge hat, daß derzeit kaum noch ein Wirt an die AfD vermieten mag. Selbst die Hotelkette Maritim, bei der noch im April ihr Landesparteitag stattfinden konnte, ist an Geschäftsbeziehungen mit der AfD nicht mehr interessiert. 

Die nächste Welle kam im Vorwahlkampf: Die AfD mußte in Berlin Unterschriften sammeln, um an der Wahl teilnehmen zu können. Ihre Infostände wurden stadtweit von gewaltbereiten Linken angegriffen. 

Markus Egg, Vorsitzender des Pankower Verbandes, stand mit seinen Parteifreunden an einem sonnigen Maitag am S-Bahnhof Prenzlauer Allee, als ein junger Mann ohne Vorwarnung die AfD-Wahlkämpfer mit grüner Farbe aus einer Plastikflasche bespritzte. Sie verfolgten den Mann, konnten ihn aber nicht erwischen. „Danach haben wir trotzdem weitergemacht und unsere Unterschriften gesammelt“, berichtet Eggs Kollegin Ursula Kretschmer, deren Bluse den Angriff nicht überstanden hat. Eggs Bezirk Pankow ist besonders betroffen: Linke haben zahlreiche Outing-Aktionen gegen AfD-Mitglieder veranstaltet. Plötzlich sind das Klingelschild beschmiert oder Plakate mit Fotos und eindeutigen Aufforderungen wie „Verpiß dich“ in der Nachbarschaft aufgehängt. Gegen einen Lehrer und einen Zahnarzt wurden sogar Demos vor deren Arbeitsplatz veranstaltet. 

Das bekannteste Mitglied der Berliner AfD und damit die größte Haßfigur für gewaltbereite Linke ist Beatrix von Storch. Einmal wurde ihr Auto abgefackelt. Sie verzichtet jetzt auf eines, weil sie fürchten muß, auch das nächste wieder zu verlieren. Die EU-Abgeordnete hat inzwischen Polizeischutz, wenn sie öffentlich auftritt. Der wurde ihr im April zugeteilt, nachdem Linksextremisten sie in einem Kasseler Hotel mit einer Torte beworfen hatten. Das Foto der von Zuckerguß und Sahne triefenden von Storch wird auf Anti-AfD-Demonstrationen wie eine Trophäe hochgehalten. Sie läßt sich jedoch nicht einschüchtern. „Die Angriffe sind armselig. Wer keine Argumente hat, muß zuschlagen“, sagt sie der JF.

Die Leitmedien der Stadt und die anderen Parteien reagieren erstmals mit ausführlichen Berichten, was daran liegt, daß linke Gewalt sich inzwischen nicht mehr nur gegen die AfD richtet. Ein SPD- und ein CDU-Wahlkampfbus sind ein Raub der Flammen gworden. Es spricht einiges dafür, daß die unbekannten Täter aus der linken Szene stammen, die wegen der Vorgänge in der Rigaer Straße auch mit den Senatsparteien über Kreuz liegen. Sie sind es auch, die stadtweit CDU-Plakate von Innensenator Frank Henkel zerstören.Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der bei jedem Wahlkampfauftritt vor einem guten Abschneiden der AfD warnt, verurteilte „Gewalt und Einschüchterungen, ganz gleich ob aus dem rechts- oder linksextremen Spektrum“. 





Vandalismus

Im Berliner Wahlkampf wurden bisher 1.864 Wahlplakate abgerissen oder zerstört (Stand: 25. August), teilte die Berliner Polizei auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Am häufigsten waren Plakate der CDU vom Vandalismus betroffen (832). Mit Abstand folgen NPD (435), AfD (265) und SPD (170). Außerdem brachen in der Nacht zu Dienstag Unbekannte in eine Druckerei in Berlin ein und stahlen 112 Kisten mit 225.000 Flugblättern der AfD. 

Zuvor hatten unterdessen Angehörige der linken Szene am Montag AfD-Chef Jörg Meuthen bei einer Veranstaltung im niedersächsischen Hittfeld mit einer gefrorenen Torte attackiert. Meuthen wurde leicht verletzt, konnte seine Rede jedoch fortsetzen.