© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Male nicht für beßre Zeiten
Nach der Biermann-Ausbürgerung 1976: Zwei Ausstellungen in Berlin widmen sich dem künstlerischen Ausbruch in der DDR
Christian Dorn

Optimismus ist nur ein Mangel an Information.“ Das pessimistische Diktum des Dramatikers Heiner Müller wirkt zugleich befreiend – angesichts einer geschlossenen Gesellschaft, in der die Lehre von Karl Marx als „wahr“ und daher „allmächtig“ galt, so der berüchtigte leninistische Glaubenssatz. Beide Zitate finden sich in der Ausstellung „Gegenstimmen“ im Berliner Martin-Gropius-Bau, die die kritische, nichtstaatstragende Kunst in der DDR von 1976 bis 1989 vorstellt. Damit kommt ihr nebenher eine Korrektivfunktion in der Reihe des deutsch-deutschen Bilderstreits zu, der vor allem durch die polemische Schau „Aufstieg und Fall der Moderne“ (Weimar 1999) befeuert wurde.

Anlaß für die aktuelle Präsentation ist der 40. Jahrestag der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976, die insofern eine Zäsur markiert, als die Historie hier den Anfang vom Ende der DDR verortet. Nicht nur reisten in der Folge zahlreiche prominente Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle in den Westen aus. Zugleich führte die Maßnahme des DDR-Regimes zu einer einmaligen Politisierung von Künstlern und Kulturschaffenden. Die Kritik an der DDR-Staatsführung riß nicht mehr ab und die Opposition begann sich zu organisieren.

Die von den Kuratoren Eugen Blume und Christoph Tannert verantwortete Schau stellt Kunstwerke vor, die in der kollektiven Rezeption verblaßt oder ganz unbekannt sind, obwohl sie zum Teil aus Museumsbesitz stammen. Freilich fehlt den künstlerischen „Gegenstimmen“ eine Eindeutigkeit. Denn viele Künstler waren nicht grundsätzlich gegen die Idee einer sozialistischen Gesellschaft, sondern gegen die Maßnahmen des „vormundschaftlichen Staates“ und wünschten sich illusorisch eine „bessere DDR“. Dabei hätte ihnen „nach Staatsbürgerkunde und Marxismus-Leninismus-Studium klar sein müssen, daß die Diktatur des Proletariats lediglich Modifizierungen des ideologischen Rahmens zulassen würde“, so Christoph Tannert im begleitenden Ausstellungskatalog.

„Ende vom Lied“ im Künstlerhaus Bethanien

Gleichwohl eint alle hier gezeigten Positionen die Haltung, die unbequemen Realitäten thematisiert und sich der Gleichschaltung entzogen zu haben, nicht zuletzt durch bis dato unbekannte Formsprachen abstrakter, konzeptioneller oder aktionistischer Natur, wie etwa die Autoperforationsartisten, bei denen die Ästhetik der Selbstblendung (Micha Brendel) besonders hervorsticht. Als gelte, nach Biermanns Fortgang, das Motto: Male nicht für beßre Zeiten!

Zu den ausgestellten Künstlern, insgesamt über achtzig Namen, gehören weiter so bekannte Namen wie A. R. Penck, Strawalde oder Hans-Hendrik Grimmling, dessen 1977 entstandenes Triptychon „Die Umerziehung der Vögel“ – aufgrund der formalen wie symbolischen Aufladung – hier das wohl eindrucksvollste Motiv ist im Hinblick auf eine politische Lesart. Zu nennen ist auch „Der ewige Soldat“ von Peter Herrmann, der konzis resümiert: „‘Vom Bau auf, bau auf’ zum ‘Hau drauf, hau drauf’ und später ‘Hau ab, hau ab’. Die DDR war schon damals fix und fertig!“ 

Bezeichnend distanziert wirkt die Erklärung des Künstlers Trak Wendisch neben dem Gemälde vom ausreisenden „Mann mit Koffer“ (1983), der betont, daß das Eigentliche „unter dem narrativen Firnis“ liege, „jenseits von Audioguide und Informationstafel“. Im übrigen bleibe sein Platz „zwischen den Stühlen, auch wenn es sich um Designermöbel handelt“.

Die Enttäuschung im Westen bringt der Maler Reinhard Stangl auf den Punkt, der darauf verweist, kein „Künstler“ geworden zu sein, in Abkehr von Beuys’ demagogischem Diktum. Als Maler aus Dresden sei es ihm um „ein Bild von Deutschland“ gegangen. Stattdessen habe er auf der anderen Seite hören müssen: „Ich orientiere mich lieber an Amerika.“ Gestisch ausgreifend, im Schwarz-Rot-Gold der Holzplastiken vor der Leinwand, erscheint „Das Gespräch“ von 1987, eine Gemeinschaftsarbeit mit Hans Scheib, als ein beredtes Zeugnis deutsch-deutscher Streitkultur.

Beredt ist hier auch die Selbstverortung des Bildhauers Scheib, der unter dem sozialistischen Kampfbegriff der „Barrikade“ den „Schutzwall“ freilegte, den er zu überwinden trachtete – um sich vom Westbesuch, Professor Eberhard Roters, Begründer der Berlinischen Galerie, wieder hinter die Mauer setzen zu lassen. Entsprechend mürrrisch war die Reaktion: „Ich will nicht als Exot, als DDR-Künstler gesehen werden. Ich bin ein Bildhauer in Deutschland.“ Darauf Eberhard Roters: „Das wird schwer.“ 

Doch wie beschränkt erschiene eine künstlerische Bestandsaufnahme, die die Ausbürgerung Biermanns zum Maßstab macht, aber ohne Musik operiert. So erscheint es nur folgerichtig, daß das Künstlerhaus Bethanien unter Leitung Christoph Tannerts eine zweite Ausstellung zum Thema ausrichtet unter dem lakonischen Titel „Ende vom Lied“. Hier werden nicht nur die Biermann-Konzerte von Köln 1976 und Leipzig im Dezember 1989 oder sein Auftritt 2014 im Bundestag gezeigt.

Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit

Die Schau besticht durch den eher unkonventionellen Zugang zum Thema. Ausdruck dessen ist etwa der unter dem Ausstellungstitel veröffentlichte Tonträger mit „East German Underground Sound 1979–1990“, der verschollene Produktionen von Punk- und Avantgardebands versammelt und in diesem Kontext wie die Faust aufs Auge paßt. Hier finden sich Formationen wie „Expander des Fortschritts“ oder die „Magdalene Keibel Combo“ von Paul Landers und Flake Lorenz (heute Rammstein). Am trefflichsten erscheint die Botschaft des Titels „Systeme rasten ein, ich raste aus!“ (1984) von Tohm di Roes.

Erschütternd dagegen wirken die Arbeiten, die sich mit der Staatssicherheit beschäftigen, wie der Animationsfilm „Kaputt“ (2016, Volker Schlecht und Die Kulturingenieure). Darin wird die Leidenszeit der Künstlerin Gabriele Stötzer nachgezeichnet, die mit ihrer Unterschrift gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert hatte und wegen „Staatsverleumdung“ im zentralen Frauengefängnis der DDR, Burg Hoheneck, Zwangsarbeit leisten mußte. Dem Film ist zu wünschen, daß er Eingang in Schulen und Bildungseinrichtungen findet.

Eher unterhaltsam wirkt die Auseinandersetzung Joerg Waehners, der aus den nachkolorierten Bildern und Notizen der MfS-Observierung einen Comic gestaltet hat. Lesenswert und vor allem unterhaltsam ist der hier herausgegebene bibliophile Katalog, der in ein zusammengefaltetes Faksimile der Artikel im Neuen Deutschland zur Ausbürgerung Biermanns eingeschlagen ist. Zu dem Resümee des Spiegel-Korrespondenten Peter Wensierski, wonach „allein mit einer Gitarre“ ein ganzer Staat „aus den Angeln“ gehoben worden sei, erscheint die ironische Verarbeitung des Künstlers Via Lewandowsky („Auffälliges Verhalten“) als angemessene Antwort: Er präsentiert eine gekrümmte Akkustikgitarre, deren Saiten sich vor den überspannten Erwartungen zusammengezogen haben.

Die Ausstellung „Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976–1989“ ist bis zum 26. September im Berliner Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro (ermäßigt 4 Euro). Telefon: 030 / 2 54 86-0

Der Ausstellungskatalog kostet 29,90 Euro.

 www.gropiusbau.de 

Die Ausstellung „Ende vom Lied“ ist bis zum 18. September im Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, täglich außer montags von 14 bis 19 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Telefon: 030 / 61 69 03-0

Der Katalog mit 288 Seiten kostet 29 Euro.

 www.bethanien.de